Fata Morgana von Frank Wedekind

So sei denn heute der Schwur getan,
Nicht leg’ ich der Seele mehr Fesseln an;
Nicht will ich mehr kriechen in Staub und Kot,
Nicht geistig verhungern um leiblich Brot;
Ich schwör’ es auf Leben und Sterben.
 
Seit die Sterne erloschen in ihrer Pracht,
Wie irrt ich rastlos durch Sturm und Nacht.
Der eigenen Augen mattschimmerndes Licht,
Wohl wies es den Pfad mir, es wärmte doch nicht,
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Und die starren Glieder erlahmten.
 
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Die Winde fegten, es blutet mein Weh
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Eine rote Spur in den weißen Schnee.
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In meinen Augen das Licht ging aus,
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Das Ohr umtoste dumpfrollender Graus,
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Dann tiefe schmeichelnde Stille.
 
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Horch, horch, ein Klingen, so fern, so hold –
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Dehnt dort sich das Tal nicht im Sonnengold?
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Es leuchten die Berge, es glänzt der Strom,
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Hoch lacht herein der kristallne Dom,
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Darunter fächelnde Lüfte.
 
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Von Blumen umduftet, im wärmenden Schein,
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Auf breitem Gipfel steh ich allein;
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Ich lehne mich lächelnd auf meinen Stab,
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Mein Aug’ streift selig landauf, landab;
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Und all mein Leiden vergessen. – – –
 
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Und sei es der sinnberückende Tod,
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Ich will nicht mehr hungern um leiblich Brot.
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Ich will dich halten, du sonnig Bild,
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Solang’ nur pochend das Herz noch schwillt –
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Ich schwör’ es auf Leben und Sterben.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.2 KB)

Details zum Gedicht „Fata Morgana“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
200
Entstehungsjahr
1905
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Fata Morgana“ wurde von Frank Wedekind, einem deutschen Dramatiker und lyrischen Dichter, verfasst, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lebte.

Beim ersten Lesen erzeugt das Gedicht einen starken Eindruck sowohl von innerer Zerbrochenheit als auch von neugewonnener Entschlossenheit. Es scheint eine Reise des lyrischen Ichs zu skizzieren, von einem Zustand der Verzweiflung und Unterwerfung hin zu einem Zustand der Selbstakzeptanz und -entfaltung.

Inhaltlich beginnt das Gedicht mit einer Art Schwur oder Entschlossenheit des lyrischen Ichs, sich nicht länger geistig zu unterdrücken, um leibliche Grundbedürfnisse zu erfüllen. Das Ich fühlt sich verloren und verirrt, irrt durch die Dunkelheit und fühlt sich schwach und ermattet. Auch das Leiden wird thematisiert, das anhand der symbiotischen Beschreibungen von Schmerz, Verlust der Sinne und Stille deutlich wird. Doch allmählich scheint eine Art Hoffnung auf, symbolisiert durch das „Klingen“ und ein visionäres Tal im „Sonnengold“. Das Ich gelangt zu einem Zustand des Friedens, umgeben von Schönheit und Wärme, und vergisst all das vorangegangene Leiden. Letztlich kommt das Gedicht zu dem Schluss, dass das Ich lieber in dieser Vision bleiben möchte, selbst wenn es der Tod sein könnte, als zurückzukehren in ein Leben, in dem es um „leiblich Brot“ hungern muss.

Bezüglich der Form und Sprache besteht das Gedicht aus sechs gleich langen Strophen mit jeweils fünf Versen und variiert in seinem Metrum. Die Sprache ist aufwändig und bildhaft, mit starken Kontrasten zwischen den Themen Dunkelheit und Licht, Leiden und Frieden, Tod und Leben. Der Ton ändert sich im Laufe des Gedichts, von einer Art Resignation zu Hoffnung und Entschlossenheit. Wedekind macht außerdem ausgiebig Gebrauch von Naturbildern und -symbolen, was zur malerischen Qualität des Gedichts beiträgt. Insgesamt handelt es sich um ein ausdrucksstarkes Gedicht, das tiefe innere Konflikte und Transformationen auf eindrückliche Weise vermittelt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Fata Morgana“ ist Frank Wedekind. Der Autor Frank Wedekind wurde 1864 in Hannover geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1905. In München ist der Text erschienen. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei dem Schriftsteller Wedekind handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 200 Worte. Der Dichter Frank Wedekind ist auch der Autor für Gedichte wie „Alte Liebe“, „Altes Lied“ und „Am Scheidewege“. Zum Autor des Gedichtes „Fata Morgana“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 114 Gedichte vor.

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