Esther von Rainer Maria Rilke

Die Dienerinnen kämmten sieben Tage
die Asche ihres Grams und ihrer Plage
Neige und Niederschlag aus ihrem Haar,
und trugen es und sonnten es im Freien
und speisten es mit reinen Spezereien
noch diesen Tag und den: dann aber war
 
die Zeit gekommen, da sie ungeboten,
zu keiner Frist, wie eine von den Toten
den drohend offenen Palast betrat,
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um gleich, gelegt auf ihre Kammerfrauen,
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am Ende ihres Weges den zu schauen,
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an dem man stirbt, wenn man ihm naht.
 
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Er glänzte so, daß sie die Kronrubine
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aufflammen fühlte, die sie an sich trug;
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sie füllte sich ganz rasch mit seiner Miene
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wie ein Gefäß und war schon voll genug
 
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und floß schon über von des Königs Macht,
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bevor sie noch den dritten Saal durchschritt,
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der sie mit seiner Wände Malachit
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grün überlief. Sie hatte nicht gedacht,
 
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so langen Gang zu tun mit allen Steinen,
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die schwerer wurden von des Königs Scheinen
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und kalt von ihrer Angst. Sie ging und ging.
 
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Und als sie endlich fast von nahe ihn,
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aufruhend auf dem Thron von Turmalin,
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sich türmen sah, so wirklich wie ein Ding:
 
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empfing die rechte von den Dienerinnen
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die Schwindende und hielt sie zu dem Sitze.
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Er rührte sie mit seines Zepters Spitze;
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und sie begriff es ohne Sinne, innen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Esther“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
211
Entstehungsjahr
1918
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Esther“ wurde von dem berühmten deutschsprachigen Dichter Rainer Maria Rilke verfasst, der von 1875 bis 1926 lebte. Also lässt es sich zeitlich in das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert einordnen.

Beim ersten Lesen ist das Gedicht mysteriös und etwas düster. Es scheint die Geschichte einer Frau namens Esther zu erzählen, die in eine ungewöhnliche und möglicherweise gefährliche Situation verwickelt ist.

Der Inhalt des Gedichts berichtet von einer intensiven Vorbereitung der Hauptfigur Esther durch ihre Dienerinnen für eine Begegnung mit einem mächtigen König. Ihre Asche, ein Symbol für ihren Schmerz und ihre Leiden, wird aus ihrem Haar entfernt und sie wird mit feinsten Spezereien gefüttert. Anschließend betritt Esther mutig den Palast, in dem sie den König trifft - eine Begegnung, die anscheinend tödlich sein kann. Sie wird von der Macht des Königs überwältigt und von ihren Dienerinnen unterstützt, als sie fast ohnmächtig wird. Schließlich berührt der König sie mit seiner Zepterspitze, eine Geste, die sich Esther „innere“ versteht, obwohl sie scheinbar keinen Sinn ergibt.

Das lyrische Ich erzählt diese dramatische Geschichte auf eine sehr bildhafte und metaphorische Weise. Die Begegnung mit dem König scheint besonders bedeutsam zu sein, vielleicht ist er ein Symbol für eine mächtige und einschüchternde Autorität.

Vom formalen Aspekt her besteht das Gedicht aus sieben Strophen, die jedoch in ihrer Länge variieren. Die Sprache ist poetisch und reich an Bildern, die Spannung und Dunkelheit evozieren - vom Aussortieren der Asche im Haar Esthers über das unheilvolle Betreten des Palastes bis zur Beschreibung des Königs als mächtige, fast bedrohliche Präsenz. Dabei wird die emotionale und physische Belastung, die Esther während der Situation spürt, anschaulich vermittelt. Bemerkenswert ist auch, dass Rilke eine mythisch-biblische Figur als Protagonistin gewählt hat, was den Text in einen größeren kulturellen und historischen Kontext setzt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Esther“ des Autors Rainer Maria Rilke. Rilke wurde im Jahr 1875 in Prag geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1918. Erschienen ist der Text in Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Der Schriftsteller Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 211 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Die Gedichte „Absaloms Abfall“, „Adam“ und „Advent“ sind weitere Werke des Autors Rainer Maria Rilke. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Esther“ weitere 338 Gedichte vor.

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