An Louise von Friedrich August Eschen

Mit einem Gedichte von Ossian.

Nimm dieses Lied das in vergangnen Zeiten
Des Alterthums der weise Barde sang,
Nie hat ein Lied auf eines Sängers Saiten
Dahingerauscht, das diesem gleich erklang: –
„Malvina, komm, du mußt den Vater leiten
Zum Hügel dort, das stille Thal entlang!“
So sprach der Greis, und gern vernahm die Worte
Das gute Kind, und leitet’ ihn zum Orte.
Die Barden folgten dem verehrten Greise
10 
Die Ebne hin, die sich zum Hügel wand;
11 
Malvina trug nach der gewohnten Weise
12 
Des Sängers Saitenspiel in ihrer Hand,
13 
Und gab’s ihm hin, wo an den Hügel leise
14 
Die Eiche rauschte, die dort einsam stand.
15 
Sein Lied begann, es flossen seine Töne,
16 
Und schweigend horchten des Gesanges Söhne.
17 
Er sang die Zeit, wo noch sein Vater lebte
18 
Und ihn als Kind in seinem Arme trug,
19 
Der Helden Zeit, die ach! zu schnell entschwebte
20 
Für Ossian mit ungehemmtem Flug:
 
21 
Malvina weinte, denn die Klage bebte
22 
Auf jedem Ton, den seine rechte schlug,
23 
Und wehmuthsvoll umschlang sie mit den Händen
24 
Des Vaters Knie, bis seine Klagen enden.
25 
Sein Lied verstummt, da küßt er Stirn’ und Wangen
26 
Malvinens, die ihr weinend Angesicht
27 
An ihm verbirgt, er hält sie fest umfangen
28 
Mit Innigkeit und tröstet sie und spricht:
29 
Komm, holdes Kind, laß mich zur Ruh’ gelangen
30 
Und leite mich, du meines Alters Licht,
31 
Zur stillen Wohnung, daß ein sanfter Schlummer
32 
Mir Frieden bring’ und stille meinen Kummer.
33 
Das Mädchen faßt des Greises Hand und leitet
34 
Mit treuer Sorgfalt von dem Hügel ihn
35 
In’s Thal hinab, wo still ein Bächlein gleitet,
36 
Um dessen Rand die bunten Blumen blühn;
37 
Die Fluth ist hell und kühl und gern bereitet
38 
Erquickung sie, wenn heiß die Tage glühn:
39 
Gieb mir den Becher, spricht mit holden Blicken
40 
Malvina jetzt, ich will dein Herz erquiken.
41 
Es dankt der Greis, der Sänger schöner Lieder,
42 
Wie keiner ist und keiner jemals war:
43 
Das Mädchen eilt zum Bache schnell hernieder
44 
Mit leichtem Schritt, daß ihr gelocktes Haar
 
45 
Im Winde fliegt; bald kehrt sie fröhlich wieder
46 
Und reicht den Becher ihrem Sänger dar;
47 
Er nimmt ihn segnend, und die Augen glänzen
48 
Ihm freudig, weil den Becher Blumen kränzen.
49 
Er labt den Durst und fühlt ein neues Leben
50 
Und Freude kehrt in seine Brust zurück:
51 
Malvina, spricht er, was die Götter geben
52 
Ist alles gut! nur mögen wir das Glück
53 
Nicht stets erkennen, und die Blicke streben
54 
Stets höher auf, als weise das Geschick
55 
Es uns vergönnt; nie muß der Muth uns wanken
56 
Und, was geschieht, laß uns den Göttern danken.
57 
Der Abend kommt, und an dem Himmel sinket
58 
Die Sonne schon mit goldnem Abendschein,
59 
Die Felder ruhn, und jedes Blümchen trinket
60 
Den hellen Thau, sein Leben zu erneun;
61 
Da tritt der Greis, wo ihm die Ruhe winket,
62 
Mit seiner Tochter in die Wohnung ein,
63 
Er dankt den Göttern, und die Götter geben,
64 
Daß Schlummer bald und Frieden ihn umschweben.
65 
Die Zeit ist hin, und keine Harfe klinget
66 
Vom Hügel her, wo Ossian gewohnt,
67 
Die Stille herrscht, und ach! Malvina singet
68 
Ihr Lied nicht mehr am Abend, wann der Mond
 
69 
Am Himmel schwebend rings den Frieden bringet
70 
Der beyde jetzt im stillen Grabe lohnt:
71 
Am Hügel stehn zwey moosbewachsne Steine,
72 
Der Wandrer weilt und segnet die Gebeine.
73 
O Heil dem Sänger, der mit solchen Tönen
74 
Der Liebe singt, was er im Busen hegt,
75 
Mit Zauberkraft führt er zur Welt des Schönen,
76 
Wo alles ewig seine Blüthen trägt;
77 
Die spätsten Enkel singen ihren Söhnen
78 
Des Sängers Lied, der tief das Herz bewegt,
79 
Und danken froh, wenn freyer sich ihr Busen
80 
Zur Freud’ erhebt, dem Liebling holder Musen.
81 
So wirst auch du, was ich dir freudig biete,
82 
Des Barden Lied mit frohem Sinn empfahn,
83 
Louise, du, die in der holden Blüthe
84 
Der frühen Jugend ihren Ossian
85 
So einzig liebt, weil er die sanfte Güte
86 
Zum Schönen fügt auf seiner hohen Bahn:
87 
Ein solches Lied ist wenigen gelungen
88 
Und gerne hat’s der Sänger dir gesungen.

Details zum Gedicht „An Louise“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
88
Anzahl Wörter
643
Entstehungsjahr
1799
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An Louise“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Friedrich August Eschen. Geboren wurde Eschen im Jahr 1776 in Eutin. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1799. Tübingen ist der Erscheinungsort des Textes. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Klassik oder Romantik zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 643 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 88 Versen. Der Dichter Friedrich August Eschen ist auch der Autor für das Gedicht „Die Lehre der Bescheidenheit“. Zum Autor des Gedichtes „An Louise“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Friedrich August Eschen (Infos zum Autor)