Es war einmal von Richard Dehmel

Der Himmel dunkelte noch immer,
ich fühlte tief bis in mein Zimmer
der tiefen Wolken vollen Schooß;
die Esche drüben drehte schwer
die hohe Krone um sich her,
zwei Blätter trieben wirbelnd los.
 
Laut tickte durch die schwüle Stube,
wie durch die stille Totengrube
der Holzwurm ticken mag, die Uhr.
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Und durch die Thüre hinter mir
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klang dünn und schüchtern ein Clavier
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über den Flur.
 
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Der Himmel lastete wie Schiefer,
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ihr Spiel klang immer trauertiefer,
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ich sah sie wohl.
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Dumpf rang der Wind im Eschenlaub,
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die Luft war grau von Glut und Staub
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und seufzte hohl.
 
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Und blasser tönten durch die Wände
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die tastenden verweinten Hände,
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sie saß und sang;
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sang sich das Lied, in sich gebückt,
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mit dem sie mich als Braut entzückt;
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ich fühlte, wie ihr Atem rang.
 
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Die Wolken wurden immer dumpfer,
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die wunden Töne immer stumpfer,
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wie Messer stumpf, wie Messer spitz;
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und aus dem alten Liebeslied
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klagten zwei Kinderstimmen mit –
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da fiel der erste Blitz.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25 KB)

Details zum Gedicht „Es war einmal“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
160
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Es war einmal“ wurde von Richard Dehmel verfasst. Dehmel lebte von 1863 bis 1920, was ihn in die Epoche des Realismus und Naturalismus zeitlich einordnet.

Der erste Eindruck des Gedichts ist eher düster und ernst. Es scheint eine bedrückende, melancholische und traurige Atmosphäre darzustellen, die durch das aufziehende Gewitter und die traurige Musik im Hintergrund unterstrichen wird.

In dem Gedicht beschreibt das lyrische Ich eine Szenerie, in der sich das Wetter zusehends verdüstert und eine bedrückende Atmosphäre erzeugt. Im Haus spielt jemand auf einem Klavier ein Lied, dass dem lyrischen Ich bekannt vorkommt und Erinnerungen erweckt. Es entsteht die Assoziation zu einer unglücklich verlaufenen Liebesgeschichte und beendete Beziehung, die das lyrische Ich noch immer beschäftigt. Das lyrische Ich fühlt eine tiefe Melancholie, die durch das aufziehende Unwetter intensiviert wird und in dem Fall des ersten Blitzes gipfelt.

Dehmel schreibt das Gedicht in einer klaren und bildhaften Sprache. Mit der gebotenen Dramaturgie durch den Wechsel von ruhiger und dynamischer Atmosphäre schafft er ein lebendiges und spürbares Bild dieser Szene. Das Gedicht hat eine einfache Struktur aus sechszeiligen Strophen mit einem regelmäßigen Versmaß, wodurch ein ruhiger Rhythmus entsteht. Diese Form steht im Gegensatz zum aufkommenden Unwetter und der emotionalen Unruhe des lyrischen Ichs, was den Kontrast und die Dramatik der Szene noch betont.

Dieses Gedicht kann als eine Metapher für die inneren Gemütszustände des lyrischen Ichs betrachtet werden. Die aufziehende Dunkelheit und das Stürmen des Wetters können als Symbole für die seelische Unruhe und die aufgewühlten Gefühle stehen. Die Musik und insbesondere das alte Liebeslied sind weitere metaphorische Elemente, die die Vergangenheit miteinbeziehen und die melancholische Stimmung verstärken.

Insgesamt gelingt es Dehmel, eine tiefe Emotion und Melancholie durch eine klar strukturierte Form und expressive, bildhafte Sprache darzustellen und dem Leser nahe zu bringen, womit das Gedicht ein klassisches Beispiel für die Gedichte des Realismus und Naturalismus ist.

Weitere Informationen

Richard Dehmel ist der Autor des Gedichtes „Es war einmal“. Der Autor Richard Dehmel wurde 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1893. Erschienen ist der Text in München. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bei Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 160 Worte. Die Gedichte „Antwort“, „Auf der Reise“ und „Aufblick“ sind weitere Werke des Autors Richard Dehmel. Zum Autor des Gedichtes „Es war einmal“ haben wir auf abi-pur.de weitere 522 Gedichte veröffentlicht.

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