Es prangt die Welt im reichsten Maienschmuck von Rudolf Lavant

Es prangt die Welt im reichsten Maienschmuck,
Im vollen Schmuck der Blüten und des Laubes,
Doch uns’re Blicke zwingt ein starrer Druck
Hinab in’s Reich des Moders und des Staubes.
Ein grauer Flor verhängt des Himmels Zelt
Und auf das Grün der Wälder und der Matten
Und auf die ganze blumenbunte Welt
Legt breit und schwer sich dumpfer Trauer Schatten.
 
Es war ein düst’rer, schmerzenreicher Tag,
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Der lange Tag nach Deiner letzten Stunde.
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Es sei ein Mann so standhaft als er mag –
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Ins tiefste Herz greift eine solche Kunde.
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In unsern Reihn ist Keiner weibisch-weich,
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Und auf einander preßten wir die Zähne,
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Doch unsre Wangen wurden fahl und bleich
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Und heiß ins Auge drängte sich die Thräne.
 
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So jung zu sterben! lange vor der Zeit,
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Die uns gebleicht der Jugend braunen Scheitel!
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So frisch zu sterben! fähig noch zum Streit! –
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Ach, auf der Welt ist Alles, Alles eitel!
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Wir bauen Schlösser noch auf losen Sand
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Und denken nicht an Welken und Ermatten –
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Da faßt der Tod uns plötzlich bei der Hand
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Und führt uns abwärts in das Reich der Schatten.
 
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Wir haben ihn als jungen Mann gekannt,
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Kühn, trotzig und gewandt, der Rede Meister;
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Wir haben unsern Führer ihn genannt,
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In Scherz und Ernst, im freien Reich der Geister.
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Wie viel er auch der Preise sich gewann,
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Er strebte fort in raschem, kräft’gem Schreiten ...
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Nun ist auch er ein bleicher, stummer Mann,
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Den klagend wir zur letzten Ruh’ geleiten.
 
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Was er uns war, das sagen Worte nicht,
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Und alles Mühen wäre hier verloren.
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Der Leitstern seines Lebens war die Pflicht,
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Ob sie ihm zufiel, ob er sie erkoren.
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Er war ein Feind der Halbheit und des Scheins,
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Besonnen stets, doch auch bereit zu wagen,
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Ein Mann in jeder Faser seines Seins –
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Ein deutsches Herz hat aufgehört zu schlagen.
 
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Wenn irgendwo, so ziemts an diesem Ort,
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Ihr Recht zu gönnen zarten Seelenbanden.
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Ihm war die Freundschaft nicht ein leeres Wort –
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Dem Freund ein Freund zu sein, er hat’s verstanden.
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Wie auch getost der Meinung wirrer Streit
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In tief erregten, nun verklung’nen Tagen,
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Mit seinen Freunden hat ihn nichts entzweit –
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Ein treues Herz hat aufgehört zu schlagen.
 
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An Schatten reich ist dieses Erdenthal,
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Wenn uns nicht freundlich der Humor begleitet;
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In seiner Seele glomm ein goldner Strahl
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Und hat ein helles Licht um ihn verbreitet.
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Auf seiner Lippe locker saß der Scherz;
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Wer wüßte wohl von Stunden nicht zu sagen,
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Da er den Groll versöhnt, gebannt den Schmerz?
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Ein frohes Herz hat aufgehört zu schlagen.
 
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So leb denn wohl, leb wohl auf immerdar!
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Die Lücke klafft im Kreise der Genossen,
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Seit Du das Auge bieder, treu und klar,
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Seit Du den redefrohen Mund geschlossen.
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Noch können wir den schmerzlichen Verlust
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In seiner vollen Größe nicht ermessen,
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Doch fühlen wir es tief in wunder Brust –
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Wir werden Dich im Leben nie vergessen!
 
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Ich habe nur des Dankes Pflicht geübt
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Für alle Liebe, die Du uns gespendet.
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Du hast uns nur ein einz’ges Mal betrübt –
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Als Du auf immer Dich von uns gewendet.
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Was auch die Zukunft bringt, wir sorgen nicht,
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Daß je Dein Bildnis uns verdunkelt werde:
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In unsern Herzen steht es rein und licht!
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Lebwohl, lebwohl! und leicht sei Dir die Erde!
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Es prangt die Welt im reichsten Maienschmuck“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
72
Anzahl Wörter
537
Entstehungsjahr
1901
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Der Autor dieses Gedichts ist Rudolf Lavant, geboren am 30. November 1844 und gestorben am 6. Dezember 1915. Damit lässt sich das Gedicht in den literarischen Kontext des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts einordnen, der gekennzeichnet ist von verschiedenen literarischen Strömungen wie dem Naturalismus und dem Symbolismus.

Der erste Eindruck des Gedichts weckt Gefühle von Melancholie und Trauer. „Es prangt die Welt im reichsten Maienschmuck“ beschreibt den Tod eines geliebten Menschen und das tiefe Leid, das der Verlust verursacht hat. Im Mittelpunkt steht die Zerrissenheit zwischen der Schönheit des Frühlings und der tiefen Trauer des lyrischen Ichs.

Inhaltlich lässt sich feststellen, dass das lyrische Ich eine tiefe Traurigkeit über den Tod eines geliebten Menschen ausdrückt. Dieser Mensch wird als Führer, Freund und als jemand, der das Leben in vollen Zügen gelebt hat, dargestellt. Die Schönheit der Natur und des Frühlings steht im Kontrast zu der Dunkelheit und Traurigkeit, die der Tod mit sich bringt. Diese Zerrissenheit zeigt sich vor allem in den wiederkehrenden Bildern von Schönheit und Verfall, von Licht und Dunkelheit. Das lyrische Ich bringt seine Unfähigkeit zum Ausdruck, über den Verlust hinwegzukommen und den tiefen Schmerz, den es empfindet.

Formal ist das Gedicht in neun Strophen mit jeweils acht Versen aufgeteilt. Die Sprache ist reich an Metaphern und Bildern, die die Emotionalität und Intensität der Gefühle des lyrischen Ichs unterstreichen. Besonders auffallend ist der Kontrast zwischen den hellen, lebendigen Bildern des Frühlings und den dunklen, tristen Bildern des Todes und der Trauer.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass „Es prangt die Welt im reichsten Maienschmuck“ ein tief bewegendes Gedicht ist, das den schmerzlichen Verlust eines geliebten Menschen und die emotionale Zerrissenheit des lyrischen Ichs thematisiert. Durch den Gebrauch von starken Bildern und Metaphern wird die Intensität der Gefühle eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Es prangt die Welt im reichsten Maienschmuck“ ist Rudolf Lavant. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. Im Jahr 1901 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig-Eutritzsch. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Moderne zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 537 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 72 Versen. Weitere Werke des Dichters Rudolf Lavant sind „An den Kladderadatsch“, „An die Frauen“ und „An die alte Raketenkiste“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Es prangt die Welt im reichsten Maienschmuck“ weitere 96 Gedichte vor.

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