Erwachen von Rudolf Lavant
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Noch einmal ließ der Winter wehn |
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Im finstren Trotze seine Fahnen; |
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Er hieß die Bäche stille stehn |
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Und wehte Straßen zu und Bahnen. |
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Er füllte ganze Thäler aus |
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In einer Nacht mit Schneeslasten, |
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Begrub im Wald das Försterhaus |
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Und knickte schlanke Schiffesmasten. |
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In voller finstrer Größe stand |
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Er aufgerichtet auf dem Posten |
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Und winkte mit der weißen Hand |
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Das Schneegewölk herauf von Osten. |
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Er lachte in der Stürme Schlacht, |
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In des Gestöbers graue Wirren, |
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Und ließ die blanke Harnischpracht, |
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Die helle Eisesrüstung klirren. |
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Er schlug ans Schwert die Eisenfaust, |
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Als werde Herr der Macht er bleiben – |
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Doch wir, gehudelt und gezaust, |
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Wir schauten spöttisch in das Treiben, |
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Denn ob des Himmels Blau verschwand – |
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Es ließ sich Niemand bange machen; |
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Wir wußten, vor der Thüre stand |
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Des Lenzes lächelndes Erwachen. |
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Mag nochmals drum in Wald und Flur |
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Gepflanzt des Winters Banner stehen – |
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Wir grüßen doppelt freudig nur |
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Des lauen Thauwinds rastlos Wehen, |
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Die Knospe, die verstohlen springt |
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An Busch und Baum, auf Weg und Stegen, |
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Die Drossel, die mit Locken singt |
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Im Abendlicht nach sanftem Regen. |
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Es schwillt das wintermüde Herz |
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Dem Lenz, der es erlöst, entgegen, |
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Als werde Balsam auf den Schmerz |
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Der tiefsten Wunde still er legen – |
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Und schreckt in Träumen, die dem Schooß |
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Des finstren Tartarus entstammen, |
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Und schreckt vor Fragen riesengroß |
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Im selben Augenblick zusammen. |
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Sobald zum blauen Himmelszelt |
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Empor die ersten Lerchen schwirren, |
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Geht scharf und deutlich durch die Welt |
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Ein unheilvolles Waffenklirren, |
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Und Trommelwirbel übertäubt |
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Des Pirols und des Finken Schlagen, |
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Wenn weiß es von den Zweigen stäubt |
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Nach kurzen, warmen Blüthetagen. |
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Der Vogel brütet still im Nest |
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Im dichten Busch, in braunen Schollen – |
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Da bebt der Grund in Ost und West |
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Von der Kanonenräder Rollen, |
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Da thürmt sich auf in fahlem Schein, |
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Verderben kündend jedem Volke |
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Bis in der Witwe Kämmerlein, |
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des Krieges finstre Wetterwolke. |
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Die Völker könnten reich und stark |
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In Eintracht beieinander wohnen; |
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Doch diese Angst, sie saugt am Mark |
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Und an dem Herzblut der Nationen. |
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Wie lange wird der Menschheit Strom |
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In viele Bäche man zersplittern? |
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Wie lange noch wird dies Phantom |
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Das Frühlingshoffen uns verbittern? |
Details zum Gedicht „Erwachen“
Rudolf Lavant
8
64
345
1893
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichtes „Erwachen“ ist Rudolf Lavant. Geboren wurde Lavant im Jahr 1844 in Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1893 zurück. In Stuttgart ist der Text erschienen. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Naturalismus oder Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das vorliegende Gedicht umfasst 345 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 64 Versen. Die Gedichte „Agrarisches Manifest“, „An Herrn Crispi“ und „An das Jahr“ sind weitere Werke des Autors Rudolf Lavant. Zum Autor des Gedichtes „Erwachen“ haben wir auf abi-pur.de weitere 96 Gedichte veröffentlicht.
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Weitere Gedichte des Autors Rudolf Lavant (Infos zum Autor)
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- An Herrn Crispi
- An das Jahr
- An den Herrn Minister Herrfurth Exzellenz
- An den Kladderadatsch
- An die Frauen
- An die alte Raketenkiste
- An unsere Feinde
- An unsere Gegner
- An la belle France.
Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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