Amyntas von Johann Wolfgang von Goethe

Nikias, trefflicher Mann, du Arzt des Leibs und der Seele!
Krank, ich bin es fürwahr; aber dein Mittel ist hart.
Ach, mir schwanden die Kräfte dahin, dem Rate zu folgen;
Ja, und es scheinet der Freund schon mir ein Gegner zu sein.
Widerlegen kann ich dich nicht; ich sage mir alles,
Sage das härtere Wort, das du verschweigest, mir auch.
Aber, ach! das Wasser entstürzt der Steile des Felsens
Rasch, und die Welle des Bachs halten Gesänge nicht auf.
Rast nicht unaufhaltsam der Sturm? und wälzet die Sonne
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Sich, von dem Gipfel des Tags, nicht in die Wellen hinab?
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Und so spricht mir rings die Natur: »Auch du bist, Amyntas,
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Unter das strenge Gesetz ehrner Gewalten gebeugt.«
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Runzle die Stirne nicht tiefer, mein Freund, und höre gefällig,
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Was mich gestern ein Baum dort an dem Bache gelehrt.
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Wenig Äpfel trägt er mir nur, der sonst so beladne;
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Sieh, der Efeu ist schuld, der ihn gewaltig umgibt.
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Und ich faßte das Messer, das krummgebogene, scharfe,
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Trennte schneidend und riß Ranke nach Ranken herab;
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Aber ich schauderte gleich, als tief erseufzend und kläglich
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Aus den Wipfeln zu mir lispelnde Klage sich goß:
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»O verletze mich nicht! den treuen Gartengenossen,
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Dem du, als Knabe, so früh, manche Genüsse verdankt.
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O verletze mich nicht! du reißest mit diesem Geflechte,
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Das du gewaltig zerstörst, grausam das Leben mir aus.
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Hab ich nicht selbst sie genährt und sanft sie herauf mir erzogen?
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Ist wie mein eigenes Laub nicht mir das ihre verwandt?
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Soll ich nicht lieben die Pflanze, die, meiner einzig bedürftig,
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Still mit begieriger Kraft mir um die Seite sich schlingt?
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Tausend Ranken wurzelten an, mit tausend und tausend
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Fasern senket sie fest mir in das Leben sich ein.
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Nahrung nimmt sie von mir; was ich bedürfte, genießt sie,
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Und so saugt sie das Mark, sauget die Seele mir aus.
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Nur vergebens nähr ich mich noch; die gewaltige Wurzel
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Sendet lebendigen Safts, ach ! nur die Hälfte hinauf.
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Denn der gefährliche Gast, der geliebteste, maßet behende
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Unterweges die Kraft herbstlicher Früchte sich an.
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Nichts gelangt zur Krone hinauf, die äußersten Wipfel
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Dorren, es dorret der Ast über dem Bache schon hin.
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Ja, die Verräterin ist's! sie schmeichelt mir Leben und Güter,
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Schmeichelt die strebende Kraft, schmeichelt die Hoffnung mir ab.
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Sie nur fühl ich, nur sie, die umschlingende, freue der Fesseln,
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Freue des tötenden Schmucks, fremder Umlaubung mich nur.«
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Halte das Messer zurück! o Nikias, schone den Armen,
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Der sich in liebender Lust, willig gezwungen, verzehrt!
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Süß ist jede Verschwendung; o laß mich der schönsten genießen!
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Wer sich der Liebe vertraut, hält er sein Leben zu Rat?
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.8 KB)

Details zum Gedicht „Amyntas“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
46
Anzahl Wörter
431
Entstehungsjahr
1749 - 1832
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Johann Wolfgang von Goethe ist der Autor des Gedichtes „Amyntas“. Im Jahr 1749 wurde Goethe in Frankfurt am Main geboren. Zwischen den Jahren 1765 und 1832 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Der Schriftsteller Goethe ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. Die Epoche des Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen das gesellschaftliche System und die Prinzipien der Aufklärung wendeten. Die Vertreter des Sturm und Drang waren häufig junge Schriftsteller im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Die Schriftsteller versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten weiterhin als Inspiration. Schiller, Goethe und natürlich die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Johann Wolfgang von Goethe (geboren am 28. August 1749 in Frankfurt am Main; verstorben am 22. März 1832 in Weimar) ist einer der bedeutendsten Dichter der Weimarer Klassik. 1786 unternahm Goethe eine Italienreise, diese wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Das Ende der Epoche ist im Jahr 1832 auszumachen. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind gebräuchliche Bezeichnungen für die Literaturepoche. Die Dichter der Weimarer Klassik wollten die antiken Stoffe aufleben lassen. Mit der antiken Kunst beschäftigte sich Goethe während seiner Italienreise. Die Antike gilt nun als Ideal, um Harmonie und Vollkommenheit erreichen zu können. In der Gestaltung wurde das Wesentliche, Gültige, Gesetzmäßige aber auch die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oft derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Schiller, Goethe, Wieland und Herder können als die Hauptvertreter der Weimarer Klassik angesehen werden. Aber nur Schiller und Goethe inspirierten und motivierten einander durch intensive Zusammenarbeit und wechselseitige Kritik.

Das Gedicht besteht aus 46 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 431 Worte. Die Gedichte „An den Selbstherscher“, „An die Entfernte“ und „An die Günstigen“ sind weitere Werke des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Zum Autor des Gedichtes „Amyntas“ haben wir auf abi-pur.de weitere 1617 Gedichte veröffentlicht.

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