Ernte und Saat von Louise Otto-Peters

Gekommen ist die Erntezeit,
Schon wird das reife Korn gehauen,
Und garbenbindend steht bereit
Die Schar der Schnitter und der Frauen.
 
Sie haben alle ihren Teil
Am liederfrohen Erntefeste
Und rufen jubelnd: „Dank und Heil!
Der Himmel gab dazu das Beste.“
 
„Der Himmel segnete das Mühn’,
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Das ackernd, säend uns verbunden
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Im Wettersturm, im Sonnenglühn –
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Nun haben wir den Lohn gefunden!“
 
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Schön war das frische Saatengrün,
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Schön war das Feld im Aehrenwallen,
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Die Wiese schön im Blumenblühn –
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Doch nun sind Blüt und Halm gefallen. –
 
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Der Baum, nur spärlich noch belaubt,
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Wirft statt der Blüten Früchte nieder
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Und schüttelt lächelnd noch das Haupt,
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Singt man für ihn auch Erntelieder.
 
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So ist es wohl ein Hochgefühl
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Zu ernten selbst gesäte Saaten.
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Der Arbeit Lohn, ein Kranz am Ziel,
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Wenn, was man pflegte, wohlgeraten.
 
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Auch manchen, die nicht selbst gesät,
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Ist Erntesegen doch gekommen;
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Sie haben dafür früh und spät
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Ein heilig Erbteil übernommen.
 
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Sie mögen nun mit voller Hand
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Den Samen streun, den sie empfangen:
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Des alten Werkes Segenspfand
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Soll er zu neuer Frucht gelangen.
 
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Und bleiben jetzt am Stoppelfeld
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Wehmütig unsre Blicke hangen –
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Bald wieder wird es neu bestellt
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Im Grün der Wintersaaten prangen,
 
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Scheint einmal alles still und tot,
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Wächst selbst noch unterm Schnee verborgen
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Die junge Saat zum neuen Brot
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Kommt doch für sie ein Ostermorgen.
 
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Drum frisch an’s Werk und nicht verzagt!
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Beim Ernten denkt an’s Samenstreuen!
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Denn wer da müßig steht und klagt
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Kann keiner Ernte sich erfreuen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Ernte und Saat“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
44
Anzahl Wörter
243
Entstehungsjahr
1880-1893
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Ernte und Saat“ wurde von Louise Otto-Peters verfasst, die von 1819 bis 1895 lebte. Sie war eine deutsche Schriftstellerin, Dichterin und Frauenrechtlerin und zählt als Mitbegründerin des organisierten bürgerlichen Feminismus in Deutschland. Das Gedicht ist daher zeitlich in das 19. Jahrhundert einzuordnen.

Auf den ersten Blick erweckt das Gedicht einen ländlichen, naturverbundenen Eindruck. Es scheint den Zyklus der Natur und den Wechsel der Jahreszeiten abzubilden. Liest man jedoch aufmerksam den Inhalt des Gedichts, so wird klar, dass es als Metapher für die menschliche Arbeit und ihre Früchte zu verstehen ist.

Otto-Peters stellt den landwirtschaftlichen Prozess der Aussaat und Ernte dar und verwendet ihn als Symbol für den menschlichen Lebensweg. Wer hart arbeitet und gut sät, wird im Leben entsprechend ernten und sich an den Früchten seiner Arbeit erfreuen können. Jedoch weist sie auch darauf hin, dass nicht nur die eigene Aussaat, sondern auch das „heilige Erbteil“, das man übernommen hat, Früchte tragen kann, was auf die Weitergabe von Wissen und Erfahrung von Generation zu Generation hindeutet.

Die Form des Gedichtes ist durch eine klare Struktur gekennzeichnet. Es ist in elf Strophen unterteilt, wobei jede Strophe vier Verse umfasst. Die Sprache ist einfach und leicht verständlich und lässt einen Natur-bezogenen, pastoralen Ton erkennen. Die Wahl der Worte und der Einsatz von Metaphern kreiert Bilder in den Köpfen der Leser und macht das Gedicht lebendig.

Abschließend kann man festhalten, dass das Gedicht „Ernte und Saat“ von Louise Otto-Peters nicht nur den Kreislauf der Natur und den Wechsel der Jahreszeiten beschreibt, sondern auch eine philosophische Betrachtung des menschlichen Lebens darstellt. Es hebt die Bedeutung von harter Arbeit und der Weitergabe von Wissen und Erfahrung hervor und ermutigt die Leser, fortwährend ihre „Samen zu streuen“ und auf die „Ernte“ hinzuarbeiten.

Weitere Informationen

Louise Otto-Peters ist die Autorin des Gedichtes „Ernte und Saat“. Otto-Peters wurde im Jahr 1819 in Meißen geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1893 entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht den Epochen Naturalismus oder Moderne zuordnen. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das 243 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 44 Versen mit insgesamt 11 Strophen. Louise Otto-Peters ist auch die Autorin für das Gedicht „An Ludwig Börne“, „An Richard Wagner“ und „Auf dem Kynast“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Ernte und Saat“ weitere 106 Gedichte vor.

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