Erlebnis von Hugo von Hofmannsthal
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Mit silbergrauem Dufte war das Tal |
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Der Dämmerung erfüllt, wie wenn der Mond |
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Durch Wolken sickert. Doch es war nicht Nacht. |
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Mit slbergrauem Duft des dunklen Tales |
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Verschwammen meine dämmernden Gedanken, |
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Und still versank ich in dem webenden, |
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Durchsichtgen Meere und verließ das Leben. |
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Wie wunderbare Blumen waren da, |
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Mit Kelchen dunkelglühend! Pflanzendickicht, |
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Durch das ein gelbrot Licht wie von Topasen |
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In warmen Strömen drang und glomm. Das Ganze |
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War angefüllt mit einem tiefen Schwellen |
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Schwermütiger Musik. Und dieses wußt ich, |
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Obgleich ichs nicht begreife, doch ich wußt es: |
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Das ist der Tod. Der ist Musik geworden, |
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Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend, |
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Verwandt der tiefsten Schwermut. |
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Aber Seltsam! |
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Ein namenloses Heimweh weinte lautlos |
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In meiner Seele nach dem Leben, weinte, |
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Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff |
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Mit gelben Riesensegeln gegen Abend |
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Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt, |
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Der Vaterstadt, vorüberfährt. Da sieht er |
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Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht |
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Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber, |
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Ein Kind, am Ufer stehn, mit Kindesaugen, |
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Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht |
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Durchs offne Fenster Licht in seinem Zimmer - |
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Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter, |
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Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend |
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Mit gelben, fremdgeformten Riesensegeln. |
Details zum Gedicht „Erlebnis“
Hugo von Hofmannsthal
1
32
197
1892
Moderne
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „Erlebnis“ und stammt aus der Feder von Hugo von Hofmannsthal, einem österreichischen Schriftsteller, der von 1874 bis 1929 lebte. Es lässt sich daher zeitlich der literarischen Epoche der Moderne zuordnen.
Der erste Eindruck, den das Gedicht erweckt, ist wehmütig und nachdenklich. Es entführt den Leser in eine Atmosphäre der Melancholie und der Sehnsucht.
Das lyrische Ich beschreibt eine sinnenfällige Erfahrung: Ein Tal, eingehüllt in silbergrauen Duft, in dem es seinen Gedanken nachhängt und dabei eine Art Tod-und-Wiedergeburt-Erfahrung durchlebt, bei der es sein früheres Leben hinter sich lässt. Es nimmt wunderbar glühende Blumen und eine berührende Musik wahr, die es als Verkörperung des Todes interpretiert – aber auf eine süße und schwermütige Weise. Doch bald empfindet das lyrische Ich eine starke Heimweh-Sehnsucht nach dem Leben, vergleichbar mit einem auf dem Meer vorbeiziehendem Heimatort, den es nur aus der Ferne betrachten kann.
Die Sprache des Gedichts ist reich an Bildern und Metaphern und zeichnet sich durch ihre melodische, fast musikalische Qualität aus. Besonders hervorstechend sind die sinnlichen Bilder, die verwendet werden, um die Emotionen und Erfahrungen des lyrischen Ichs zu vermitteln, z.B. der silbergraue Duft des Tals, die dunkelglühenden Blumen und das gelbrote Licht, das wie von Topasen strömt.
Die Form des Gedichts zeichnet sich durch längere Verse aus, die einen fließenden, träumerischen Rhythmus erzeugen. Es gibt keine festgelegte Reimstruktur, was dem Gedicht einen freien, persönlichen Charakter verleiht. Es vermittelt das Gefühl einer spontanen Gedanken- und Gefühlsäußerung.
In Verbindung mit der Sprache und Themenauswahl ist davon auszugehen, dass das lyrische Ich die transzendenten Themen Leben, Tod und Sehnsucht aufgreift und sie auf eine persönliche, emotionale und sinnliche Weise interpretiert und zum Ausdruck bringt. Es ist eine tiefe Anerkennung der Vergänglichkeit und der Sehnsucht nach dem Verlorenen, aber auch eine Wertschätzung des Lebens und seiner Schönheit.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Erlebnis“ ist Hugo von Hofmannsthal. Der Autor Hugo von Hofmannsthal wurde 1874 in Wien geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1892 zurück. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Der Schriftsteller Hofmannsthal ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 32 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 197 Worte. Die Gedichte „Der Kaiser von China spricht“, „Der Schiffskoch, ein Gefangener, singt“ und „Des alten Mannes Sehnsucht nach dem Sommer“ sind weitere Werke des Autors Hugo von Hofmannsthal. Zum Autor des Gedichtes „Erlebnis“ haben wir auf abi-pur.de weitere 40 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Hugo von Hofmannsthal sind auf abi-pur.de 40 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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