Erinnerung und Phantasie von Sophie Friederike Mereau

Warum ergießt sich nur der Schwermuth Schauer
Aus deiner Schaale mir, Erinnerung?
Warum bewölkt der Sehnsucht stille Trauer
Der Seele Blick mit trüber Dämmerung?
 
Sie flattert ängstlich mit gelähmtem Flügel
Um Blüthen der Vergangenheit, enteilt
Auf ewig, wie bei seinem Grabeshügel
Ein armer unversöhnter Schatten weilt.
 
Und wie nach Edens seligen Gefilden
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Zu späte Reu mit nassem Blicke dringt,
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Schaut sie zurück nach luftigen Gebilden,
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Die keine Hofnung je ihr wieder bringt.
 
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Ist dieß dein Glück, o! du im Mondenglanze,
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Erinnerung? Dieß deine Seligkeit?
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O! fleuch von mir mit deinem welken Kranze,
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Und überlaß mich der Vergessenheit.
 
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Entführe du auf deinen muntern Schwingen
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O! Phantasie, mich diesem finstern Harm!
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Schon fühl’ ich Kraft durch jeden Nerven dringen,
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Und fliehe leichter aus der Schwermuth Arm.
 
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Du Göttliche, du schwelgst im Wesenkranze,
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Nicht ängstlich an die Gegenwart gebannt,
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Entzückt umher, dir strahlt im Sonnenglanze
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Die Unermeßlichkeit, dein Vaterland.
 
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Der armen Nothdurft kärglichem Gebiete
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Entschwingst du, Allumfassende, dich kühn,
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Und stürzest dich, berauscht vom Sphärenliede,
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Ins Flammenmeer der Ideale hin.
 
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Dich fesselt nicht das irrdsche Maaß der Zeiten,
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Des Raumes nicht; mit Himmlischen verwandt,
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Genießest du im Reich der Möglichkeiten
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Ein Glück, das keine Wirklichkeit umspannt.
 
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Vergebens hüllt ein unauflösbar Siegel
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Den Sterblichen die ferne Zukunft ein,
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Zurück gestrahlt aus deinem Zauberspiegel,
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Geht sie hervor in schönen Dämmerschein.
 
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Als Mitgenossinn theilest du die Schätze,
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Die tief im Schooß der fernen Nachwelt blühn,
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Und lösest kühn der Endlichkeit Gesetze,
40 
Daß von Unsterblichkeit die Seelen glühn.
 
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Beflügle mich, schon bricht aus schwarzer Hülle
42 
Der Hofnung lichtes Morgenroth hervor,
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Die Welt ist schön, und schönre Lebensfülle
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Schäumt mir aus deinem Zauberkelch empor.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.5 KB)

Details zum Gedicht „Erinnerung und Phantasie“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
44
Anzahl Wörter
266
Entstehungsjahr
1796
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Erinnerung und Phantasie“ ist von der Dichterin Sophie Friederike Mereau, geboren 1770 und gestorben 1806. Sie gehörte zur Zeit der deutschen Romantik, einer literarischen Epoche zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die sich durch eine intensive Auseinandersetzung mit Gefühlen, Sehnsüchten und dem Unbewussten auszeichnete.

Der erste Eindruck des Gedichts ist geprägt von einer emotionellen und introspektiven Atmosphäre, welche durch eine melancholisch-philosophische Sprache unterstützt wird. Das lyrische Ich scheint einen inneren Konflikt zu durchleben, welcher durch den differenzierten Blick auf die Erinnerungen und Phantasien näher umrissen wird.

Es wird ein innerer Dialog geführt, in welchem das lyrische Ich sich mit der Wirkung und dem Einfluss von Erinnerung und Phantasie auf seine gegenwärtige emotionale Verfassung auseinandersetzt. In den ersten Strophen bringt das lyrische Ich zum Ausdruck, wie stark seine Gemütsverfassung von der Schwermut und Trauer seiner Erinnerungen geprägt ist. Es wird ein Bild von einem inneren Auge gezeichnet, dessen Blick von den dunklen Schleiern der Erinnerung getrübt wird. In den folgenden Strophen jedoch wandelt sich der Ton, als das lyrische Ich die Phantasie als eine erhebende und befreiiende Kraft darstellt, welche es aus der Schwermut des Erinnerns befreien kann.

Das Gedicht besteht aus elf Strophen, mit je vier Versen, was eine klare und geordnete Struktur verleiht. Die Sprache ist feurig und leidenschaftlich, typisch für die Romantik, mit einer Vielzahl von Metaphern und Personifikationen, welche auf die emotionale Tiefe des lyrischen Ich hindeuten.

Insgesamt könnte man sagen, dass das Gedicht „Erinnerung und Phantasie“ eine einfühlsame Untersuchung der menschlichen Seele bietet. Das lyrische Ich setzt sich eindringlich und emotional mit den Auswirkungen von Erinnerung und Phantasie auf sein seelisches Wohlbefinden auseinander. Dabei gelingt es ihm schließlich durch die Kraft der Phantasie, sich von der melancholischen Last der Erinnerung zu befreien und zu einer hoffnungsvollen Perspektive zu finden. Es ist somit aus gesellschaftlicher Sicht auch ein Hinweis auf die Heilkraft, die in der Phantasie liegt.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Erinnerung und Phantasie“ ist Sophie Friederike Mereau. Mereau wurde im Jahr 1770 in Altenburg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1796 zurück. Neustrelitz ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text der Epoche Klassik zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das 266 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 44 Versen mit insgesamt 11 Strophen. Sophie Friederike Mereau ist auch die Autorin für das Gedicht „Andenken“, „Bey Frankreichs Feier“ und „Das Bildniß“. Zur Autorin des Gedichtes „Erinnerung und Phantasie“ haben wir auf abi-pur.de weitere 31 Gedichte veröffentlicht.

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