Er verheiratet sie von Kurt Tucholsky

Reicht mir den Kranz, reicht mir den Myrtenschleier!
Der Unschuld grünes Kränzlein tragt herbei!
So schick ich Clairen an Direktor Meyer – –
(Mitgift anbei).
 
Bedenk: Du schreitest nun ins wilde Leben!
„Zum ersten Mal“ – ein schwerer Schritt, mein Kind!
Was früher war, Gott, das vergißt man eben …
und er –
ist blind.
 
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Sein Tastsinn sei ein wenig unentwickelt,
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und tobt er brüllend wie ein brünstiger Leu:
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dann glänzt die liebe Unschuld frisch vernickelt
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so gut wie neu …
 
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So zeuch denn hin, du liebe Maculata!
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Zart überhaucht von bräutlich rosa Glück …
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Ich hätt gelacht? Todernst. Wie eine Fata
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Morgana verschwindest du – –
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ich grüße leicht zurück.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.4 KB)

Details zum Gedicht „Er verheiratet sie“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
18
Anzahl Wörter
102
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Er verheiratet sie“ stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aktiv war. Tucholsky ist besonders bekannt für seinen scharfzüngigen und politischen Ton, seine Texte werden oft als Satiren bezeichnet.

Das Gedicht erzeugt beim ersten Lesen einen humoristischen Eindruck mit einer leichten Schärfe, wodurch soziale Missstände und Fehlinterpretationen in der Gesellschaft entlarvt werden. Man fühlt sich vielleicht ertappt oder nachdenklich, da Tucholsky hier die Heirat aus einer sehr unkonventionellen Perspektive darstellt.

In einfachen Worten handelt das Gedicht von einer jungen Frau, wahrscheinlich Claire, die das lyrische Ich an Direktor Meyer verheiratet. Es scheint, dass die Verlobte alles andere als unschuldig ist, was durch die Anspielungen auf ihre verlorene Unschuld verdeutlicht wird. Das lyrische Ich ist nicht betrübt über den Verlust, sondern scheint eher erleichtert und amüsiert zu sein.

Die Form und Sprache des Gedichts sind gekennzeichnet durch eine Mischung aus klassischen Hochzeitszitaten und einer ironischen Darstellung der Situation. Die formale Struktur besteht aus vier Strophen mit jeweils vier bzw. fünf Versen und sorgt für einen geordneten Ablauf. Die verwendete Sprache ist geprägt durch sarkastische und ironische Wortwahl („Unschuld“, „blitzblank vernickelt“), was eine humorvolle bis zynische Atmosphäre schafft.

Zusammenfassend ist „Er verheiratet sie“ ein Gedicht, das die Heirat auf satirische Weise beleuchtet und hinterfragt die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und an die Institution der Ehe selber. Die Heirat wird als Geschäft dargestellt, bei dem das lyrische Ich seine „Tochter“ an einen Direktor Meyer „verkauft“. Der Humor und die Ironie helfen, die zugrundeliegenden sozialen Missstände und Ungerechtigkeiten zu beleuchten.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Er verheiratet sie“ ist Kurt Tucholsky. 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Charlottenburg. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zu. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Republik hatten erheblichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von distanzierter Betrachtung der Welt und Nüchternheit gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine alltägliche Sprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Autoren, die ins Exil fliehen, also ihre Heimat verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den thematischen Schwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus erkennen. Bestimmte formale Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Metrum, Reimschema oder der Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel lassen sich in der Exilliteratur nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das vorliegende Gedicht umfasst 102 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 18 Versen. Die Gedichte „An Lukianos“, „An Peter Panter“ und „An das Publikum“ sind weitere Werke des Autors Kurt Tucholsky. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Er verheiratet sie“ weitere 136 Gedichte vor.

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