Epistel von Heinrich Julius Ludwig von Rohr

An einen mißmüthigen Freund

Freund, wie macht es dich so traurig,
Daß, so oft man dich verkennt? –
Jeden Ausbruch deiner frohen Laune,
Mit der Schmähsucht schallenden Posaune
Vorwitz und Satyre nennt! –
 
War es nicht das Loos der schönsten Seelen
Immer sich verkannt zu sehn? –
Ja, es kann, es kann nicht fehlen,
Gute Menschen müssen Neider zählen,
10 
Die bey ihrem Licht im Schatten stehn.
 
11 
Bist du nur ganz mit dir selbst zufrieden,
12 
Lebst du, wie ein ächter Biedermann,
13 
Achtest auf des Herzens Stimm’ hienieden,
14 
Lebst mit dem dort oben auch in Frieden,
15 
Laß ihn nagen dann des Neides Zahn;
16 
Ehe wird er Marmorsäulen nagen,
17 
Eh’ er deiner Ruhe schaden kann! –
 
18 
Herzensruhe kauft man nie zu theuer
19 
Um der Thoren bittern Tadel ein.
20 
Hoch im edlen Busen flammt das Feuer
21 
Reiner Wonne, daß man nichts gemein
22 
Habe mit der Narren dichten Schaaren,
23 
Ja, daß ihnen nichts an uns gefällt;
24 
Da, wo Gott und inn’rer Friede Richter waren,
25 
Was gilt da das Urtheil einer Welt?
 
26 
Aber, wend’st du ein, dieß ew’ge Streiten,
27 
Dieses Zanken, dieses wilde Drohn,
28 
Dieser Zwist, mit sonst ganz guten Leuten,
29 
Spricht er nicht dem innern Frieden Hohn? –
 
30 
Nein, mit nichten! mag es draußen stürmen,
31 
Inn’re Seelenruhe wird den Held
32 
Mit der himmlischen Aegide schirmen,
33 
Unter Trümmern einer halben Welt! –
 
34 
Laß die Tadler deine Thaten schmähen,
35 
Sie beleben deines Daseyns Pfad.
36 
Manche Rose blüht dem ungesehen,
37 
Dessen Fuß noch nie auf Dornen trat.
38 
Kleiner Zwist verbreitet auf des Lebens
39 
Wegen einen sanften Flimmerschein;
40 
Er beweis’t uns, daß wir nicht vergebens
41 
Hier durchwandelten des Daseyns Reih’n.
42 
Manche hohe Wahrheit lag begraben,
43 
Hätte Luther nicht einst Muth gefaßt;
44 
Wer den Beyfall einer Welt will haben,
45 
Wird von edlen Seelen oft gehaßt! –
 
46 
Immer mit dem breiten Strome schwimmen,
47 
Ist das Antheil kleiner Seelen nur.
48 
Höhre Pfade muthig zu erklimmen,
49 
Zu erspäh’n die Werkstatt der Natur,
 
50 
War den Flammenseelen aufbehalten
51 
Die nicht durch Verspottung, nicht durch Droh’n,
52 
Ihren Eifer ließen je erkalten,
53 
Später Enkel Ehrfurcht ist ihr Lohn! –
 
54 
Drum, o Freund! so schreite muthig weiter,
55 
Auf der Laufbahn, die dein Fuß betrat,
56 
Sind dir gleich nicht alle Stunden heiter,
57 
Trüben düstre Wölkchen deinen Pfad:
58 
So gedenk’, daß Düsterheit und Klarheit
59 
Ewig unter’m Monde wechseln ab,
60 
Daß das Land der schleyerlosen Wahrheit,
61 
Unser harret über Tod und Grab;
62 
Nimmer müsse Undank dich bewegen,
63 
Minder thätig, minder gut zu seyn;
64 
Jeder Edelthat harrt hoher Seegen,
65 
Wenn nicht hier, gewiß im bessern Seyn!
 
66 
v. R.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.5 KB)

Details zum Gedicht „Epistel“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
66
Anzahl Wörter
403
Entstehungsjahr
1791
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht stammt von Heinrich Julius Ludwig von Rohr und wurde vermutlich um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert verfasst, da der Autor von 1767 bis 1810 lebte.

Der erste Eindruck des Gedichts ist, dass es sich um einen Ratgeber in Verssform handelt. Das lyrische Ich spricht einen Freund an und gibt diesem Ratschläge, wie er mit Kritik und Missverständnissen umgehen soll.

Der Inhalt des Gedichts dreht sich vorrangig um Kritik, Fehlinterpretationen und Neid anderer Menschen und wie man mit diesen umgeht. Das lyrische Ich plädiert dafür, bei innerer Zufriedenheit und wahrem Charakter diese negativen Einflüsse zu ignorieren. Es betont die Wichtigkeit von persönlicher Integrität und inniger Zufriedenheit gegenüber der Meinung der Welt. Des Weiteren ermutigt das lyrische Ich den Freund, trotz der Gegenreaktionen anderer weiterhin den von ihm gewählten Pfad fortzusetzen.

Rohr nutzt in seinem Gedicht eine gängige, traditionelle Struktur mit regelmäßig wechselnden Verszahlen innerhalb der Strophen. Die Sprache ist jener seiner Zeit entsprechend hochgestochen und pathetisch. Die verwendeten Metaphern und Vergleiche, wie zum Beispiel „Herzensruhe kauft man nie zu theuer“ oder „Ehe wird er Marmorsäulen nagen“, verleihen dem Text eine poetische und bildhafte Qualität.

Insgesamt ist das Gedicht als zeitgenössisches Werk der Aufklärungszeit zu sehen, in dem persönliche Integrität und Individualität betont werden. Die Botschaft ist aktuell und zeitlos und spricht für ein positives Selbstbild und das Vertrauen auf die persönlichen Fähigkeiten und Werte, trotz Gegenwind und Kritik.

Weitere Informationen

Heinrich Julius Ludwig von Rohr ist der Autor des Gedichtes „Epistel“. 1767 wurde Rohr in Holzhausen (heute Stadtteil von Kyritz) geboren. 1791 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 403 Wörter. Es baut sich aus 11 Strophen auf und besteht aus 66 Versen. Weitere Werke des Dichters Heinrich Julius Ludwig von Rohr sind „An Madame Engst“, „An eine schöne Schlummernde“ und „An meinen Freund Herrn P. St.“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Epistel“ keine weiteren Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Heinrich Julius Ludwig von Rohr

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Heinrich Julius Ludwig von Rohr und seinem Gedicht „Epistel“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Heinrich Julius Ludwig von Rohr (Infos zum Autor)