Entschuldigungsbrief von Joachim Ringelnatz

Mein lieber S., als ich am andern Tag
Erwachte, wußte ich nicht mehr Genaues.
Ich hab ein rotes Auge, Ruth ein blaues.
Wie sich das zugetragen haben mag!!
 
In meinem Anzug klebt ein Pfund Spinat.
Wie kam das nur? Ich weiß nur noch, daß Deine
Frau oder Oskars in den Spiegel trat.
Doch wer goß Hermann Suppe auf die Beine?
 
Ich gebe zu, daß ich den Anlaß gab.
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Ich war besoffen wie noch nie seit Wochen.
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Verzeiht mir, was ich ge-, zer- und verbrochen
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Und daß ich Fips mit Wachs beträufelt hab’.
 
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Nun sind wir alle plötzlich jäh entzweit
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Und waren Freunde, die nie beßre finden.
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Man sollte bei solch reicher Festlichkeit
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Lieber mehr essen und sich überwinden.
 
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Wie war die Bowle gut und der Fasan!
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Vorbei. – Am liebsten würd’ ich mich erhängen. –
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Verdammt nicht ganz den, der das Porzellan
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Euch gern ersetzen will. Ohne sich aufzudrängen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Entschuldigungsbrief“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
147
Entstehungsjahr
1933
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Entschuldigungsbrief“ wurde von Joachim Ringelnatz verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Kabarettisten, der zwischen 1883 und 1934 lebte. Damit lässt sich das Gedicht in die literarische Epoche der frühen bis mittleren Neuen Sachlichkeit wie auch in die Weimarer Republik zeitlich einordnen, welche von politischen Umbrüchen, einer neuen Vernunftorientierung aber auch hedonistischen Lebensweisen geprägt war.

Beim ersten Lesen des Gedichts fallen der humorvolle, anekdotische Ton und die skurrilen, bildlich-humorigen Details auf. Zugleich ist eine gewisse Melancholie und ein Aspekt der Reue verwoben.

Beamten wir das Gedicht inhaltlich, wird aus der Sicht eines lyrischen Ichs von einer feucht-fröhlichen Feier berichtet, bei der offensichtlich sehr viel schief gelaufen ist. Das lyrische Ich kann sich nur verschwommen an die Details erinnern, doch es scheint, dass es sowohl Verantwortung für mehrere Zwischenfälle, als auch für ein unerklärliches Ausmaß an Chaos auf der Party trägt. Das lyrische Ich möchte sich entschuldigen und hofft auf Versöhnung.

Die vierzeiligen Strophen sind in freien Versen verfasst, was der Umgangssprache und dem spontanen, entschuldigenden Charakter des Gedichts entspricht. Ringelnatz verwendet eine einfache, direkte Sprache und spielt gekonnt mit der Komik der Situation bis hin zur Selbstironie, wie beispielsweise in der Passage mit dem Pfund Spinat oder der zerbrochenen Suppe.

Das Gedicht ist zugleich eine Reflexion über Freundschaft - das lyrische Ich bedauert den durch die Feier entstandenen Bruch und betont die besondere Qualität der Freundschaft, die durch die missglückte Feier bedroht scheint. Trotz all des Chaos und des Ärgers endet das Gedicht auf einer versöhnlichen Note, und zeigt damit die Fähigkeit des lyrischen Ichs, die eigene Verantwortung anzuerkennen und den Wunsch zur Wiedergutmachung zu äußern.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Entschuldigungsbrief“ ist Joachim Ringelnatz. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1933 zurück. In Berlin ist der Text erschienen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Moderne oder Expressionismus zu. Ringelnatz ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das 147 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Weitere Werke des Dichters Joachim Ringelnatz sind „...als eine Reihe von guten Tagen“, „7. August 1929“ und „Abendgebet einer erkälteten Negerin“. Zum Autor des Gedichtes „Entschuldigungsbrief“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.

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