Entsagung von Franz Grillparzer

Eins ist, was altergraue Zeiten lehren,
Und lehrt die Sonne, die erst heut getagt:
Des Menschen ew’ges Loos, es heißt: Entbehren,
Und kein Besitz, als den du dir versagt.
 
Die Speise, so erquicklich deinem Munde,
Beim frohen Fest genippter Götterwein,
Des Theuren Kuß auf deinem heißen Munde,
Dein wär’s? Sieh zu! ob du vielmehr nicht sein.
 
Denn der Natur alther nothwend’ge Mächte,
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Sie hassen, was sich freie Bahnen zieht,
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Als vorenthalten ihrem ew’gen Rechte
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Und reißen’s lauernd in ihr Machtgebiet.
 
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All’, was du hältst, davon bist du gehalten,
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Und wo du herrschest, bist du auch der Knecht.
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Es sieht Genuß sich vom Bedarf gespalten,
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Und eine Pflicht knüpft sich an jedes Recht.
 
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Nur was du abweist, kann uns wiederkommen,
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Was du verschmähst, naht ewig schmeichelnd sich,
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Und in dem Abschied, vom Besitz genommen,
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Erhältst du dir das einzig deine: Dich!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Entsagung“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
145
Entstehungsjahr
1817
Epoche
Biedermeier,
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Entsagung“ wurde von dem österreichischen Dichter Franz Grillparzer verfasst, der zwischen 1791 und 1872 lebte. Der Inhalt des Gedichts reflektiert die philosophische und soziale Perspektive des 19. Jahrhunderts, einer Zeit der Veränderungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht ernst und nachdenklich. Es legt den Fokus auf das Thema Verzicht und dessen Rolle im Leben eines Menschen.

Inhaltlich geht es darum, dass der Mensch ständig auf etwas verzichten muss („Des Menschen ew'ges Loos, es heißt: Entbehren“). Der Mensch kann nichts wirklich besitzen, außer das, was er freiwillig aufgibt. Selbst Genüsse und Vergnügungen, wie etwa ein Festmahl oder der Kuss eines geliebten Menschen, sind nur von vorübergehender Art. Denn die „natur alther nothwend'ge Mächte“ ziehen alles in ihr eigenen Bereich und machen den Menschen damit zu ihrem Gefangenen. Egal was man hat oder besitzt, man ist daran gebunden und damit auch ein Sklave davon („wo du herrschest, bist du auch der Knecht“). Nur was man zurückweist oder ablehnt, kann einem erhalten bleiben und in der Entsagung und Verabschiedung von Besitz erkennt der Mensch, was wirklich ihm gehört - er selbst („Erhältst du dir das einzig deine: Dich!“).

Die Form des Gedichts ist ein gereimter vierzeiliger Vers mit einer Art Kreuzreim-Schema. Die Sprache ist gemeinhin klar und direkt, aber Grillparzer verwendet auch metaphorische Ausdrücke und Euphemismen (z.B. „Götterwein“ für Alkohol oder „lauernd“ für die Naturkräfte), die zur Verdichtung der Thematik beitragen.

Insgesamt bringt das Gedicht eine eher melancholische und philosophische Reflexion über das menschliche Leben und seine Bedingungen zum Ausdruck. Es thematisiert das Paradoxon menschlichen Begehrens und Besitzens, die Natur des Verzichts und die damit einhergehende Freiheit des Individuums. Grillparzers Appell an die Selbsterkenntnis und Selbstbehauptung durch Verzicht und Entsagung kann als eine Form der menschlichen Autonomie in einer von äußeren Zwängen und Begrenzungen geprägten Welt gesehen werden.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Entsagung“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Franz Grillparzer. Geboren wurde Grillparzer im Jahr 1791 in Wien. Das Gedicht ist im Jahr 1817 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Stuttgart. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Biedermeier oder Realismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Grillparzer handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das 145 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Franz Grillparzer sind „Der Wunderbrunnen“, „Vorzeichen“ und „Werbung“. Zum Autor des Gedichtes „Entsagung“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 300 Gedichte vor.

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