An die baltischen Sirenen von Richard Dehmel

Auf alle meine Lust und Freud',
auf alle meine Wonne
empfind' ich nun die trübe Zeit,
daß mir scheint keine Sonne.
Blitz, Regen, Nebel, Sturm und Wind
sind mich zu töten ganz gesinnt,
das Wetter schlägt zusammen
mit Güssen und mit Flammen.
 
Seit daß ich euer bin beraubt,
10 
ihr Schönsten auf der Erden,
11 
ist mir ganz keine Lust erlaubt,
12 
ich kan nicht frölich werden.
13 
Ich weiß es, wie und was es sei
14 
um ewige Melancholei,
15 
weil nichts in meinem Herzen
16 
regiert als bittre Schmerzen.
 
17 
Leg' ich mich oder steh' ich auf,
18 
wach' oder schlaf ich wieder,
19 
so schläget Pein und Angst vollauf
20 
mein mattes Herze nieder.
21 
Ich schaffe, was ich immer kan.
22 
Bald greif' ich das, bald jenes an,
23 
doch kan ich meiner Plagen
24 
mich nimmermehr entschlagen.
 
25 
Habt ihr mich auch recht froh gesehn,
26 
ihr baltischen Sirenen?
27 
Ist mir von Herzen wol geschehn
28 
bei eurer Lust, ihr Schönen?
29 
Zwar eure Gottheit nahm mich ein,
30 
daß ich euch mußte günstig sein,
31 
doch war ich nie ohn' Schmerzen
32 
um meines Herzens Herzen.
 
33 
Apollo, der du alles weißt,
34 
Apollo, sei mein Zeuge,
35 
daß mir mein hochbetrübter Geist
36 
nicht zuläßt, daß ich schweige.
37 
Ich singe meiner Angst Begier
38 
den Wäldern und den Vögeln für.
39 
Die Vögel und die Wälder,
40 
die schreiens durch die Felder.
 
41 
Zythere, Mutter meiner Pein,
42 
ach sei doch einmal milde!
43 
Soll allzeit ich entnommen sein
44 
so manchem schönen Bilde?
45 
Ich flehe deinen Wagen an.
46 
Will Jupiter, ich werd' ein Schwan,
47 
ich werd' ein güldner Regen
48 
von meiner Liebsten wegen.
 
49 
Und du, o Stifter dieser Not,
50 
Kupido, dem ich flehe,
51 
bist du des Himmels stärkster Gott,
52 
so wehre diesem Wehe!
53 
O Kind, o Knabe, groß von Macht,
54 
nim deinen Diener doch in Acht,
55 
der sich erbeut, sein Leben
56 
in deinen Tod zu geben.
 
57 
Reißt aus, ihr Ströme meiner Qual,
58 
reißt aus, ihr Tränenbäche,
59 
befeuchtet meiner Wangen Tal,
60 
weil ich fast mehr nicht spreche.
61 
Brecht, meine Seufzer, durch die Luft,
62 
weil ich mich ganz hab' abgeruft,
63 
sagts, daß ich bin verloren,
64 
in ihre leise Ohren.
 
65 
Leander war ein Glückeskind
66 
für mir und meinesgleichen.
67 
Ihn hat verschlungen See und Wind
68 
vor seiner Liebe Zeichen.
69 
Ich walle durch das wilde Meer
70 
itzt hier, itzt da, bald hin, bald her.
71 
Mein Leitstern, eure Liebe
72 
verlöscht mir durch das Trübe.
 
73 
Laß aber diese Klagen sein,
74 
o mein Geist, o mein Wille.
75 
Auf Regen folget Sonnenschein,
76 
auf Sturmwind sanfte Stille.
77 
Tritt unter dich, hüll' dich in dich,
78 
bis daß das Wetter lege sich.
79 
Was man nicht kan vermeiden,
80 
das muß man tapfer leiden.
 
81 
Ach, Schönste, die der Himmel liebt
82 
und was den Himmel kennet
83 
erfreut mich, wie ihr mich betrübt,
84 
löscht, wie ihr mich verbrennet.
85 
Ein einiges Gedenken macht,
86 
daß dieser Mund auch weinend lacht.
87 
Wollt ihr dem Schaden schaden,
88 
so laßt mich sein in Gnaden.
 
89 
Merkt, was euch dieser Mund verspricht,
90 
das schwört sein Herze drinne.
91 
Aus meinem Sinne kommt ihr nicht,
92 
weil ich mich selbst besinne.
93 
Ihr Püsch', ihr Bäche, höret zu,
94 
du ungeneigter Himmel du,
95 
sag' ich es nicht von Herzen,
96 
so dupple mir die Schmerzen.
 
97 
Klagt mit mir mein Verhängnüß an,
98 
ihr adelichen Damen,
99 
und weil ich selbst nicht kommen kan,
100 
so nehmet meinen Namen.
101 
Vergießt ihr denn ein Tränlein nur
102 
um mich verlaßne Kreatur,
103 
ach wol mir, wol mir Schwachen,
104 
diß wird mich stärker machen!
 
105 
Säumt nicht, ihr trüben Zeiten ihr,
106 
säumt nicht, verlauft geschwinde,
107 
daß ich der Erden schönste Zier
108 
in ihrer Schönheit finde.
109 
O Menschentrost, o Götterzier,
110 
ach Föbus, scheine balde mir,
111 
laß mir nach diesen Plagen
112 
es frölich wieder tagen.
 
113 
Seid tausent tausentmal gegrüßt,
114 
ihr Sonnen meiner Freuden!
115 
Seid durch die hole Luft geküßt,
116 
ich muß und soll mich scheiden.
117 
Ade, zu guter Nacht, Ade,
118 
mein Herze bricht mir vor dem Weh',
119 
Ade, ihr Mensch-Götinnen,
120 
darmit bin ich von hinnen.

Details zum Gedicht „An die baltischen Sirenen“

Anzahl Strophen
15
Anzahl Verse
120
Anzahl Wörter
620
Entstehungsjahr
nach 1879
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An die baltischen Sirenen“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Richard Dehmel. Dehmel wurde im Jahr 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Zwischen den Jahren 1879 und 1920 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Der Schriftsteller Dehmel ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 120 Versen mit insgesamt 15 Strophen und umfasst dabei 620 Worte. Weitere Werke des Dichters Richard Dehmel sind „Bitte“, „Büßende Liebe“ und „Chinesisches Trinklied“. Zum Autor des Gedichtes „An die baltischen Sirenen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 522 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Richard Dehmel (Infos zum Autor)

Zum Autor Richard Dehmel sind auf abi-pur.de 522 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.