Klein Roland von Ludwig Uhland

Frau Berta saß in der Felsenkluft
Sie klagt' ihr bittres Los.
Klein Roland spielt' in freier Luft,
Des Klage war nicht groß.
 
?O König Karl, mein Bruder hehr,
O, daß ich floh von dir!
Um Liebe ließ ich Pracht und Ehr',
Nun zürnst du schrecklich mir.
 
O Milon, mein Gemahl so süß,
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Die Flut verschlang mir dich.
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Die ich um Liebe alles ließ,
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Nun läßt die Liebe mich.
 
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Klein Roland, du mein teures Kind,
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Nun Ehr' und Liebe mir!
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Klein Roland, komm herein geschwind!
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Mein Trost kommt all von dir.
 
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Klein Roland geh zur Stadt hinab
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Zu bitten um Speis' und Trank,
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Und wer dir gibt eine kleine Gab',
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Dem wünsche Gottes Dank!"
 
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Der König Karl zur Tafel saß
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Im goldnen Ritersaal.
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Die Diener liefen ohn' Unterlaß
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Mit Schüssel und Pokal.
 
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Von Flöten, Saitenspiel, Gesang
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Ward jedes Herz erfreut,
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Doch reichte nicht der helle Klang
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Mehr als am Saitenspiel.
 
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Der König schaut in ihr Gedräng'
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Wohl durch die offne Tür,
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Da drückt sich durch die dichte Meng'
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Ein feiner Knab' herfür.
 
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Des Knaben Kleid ist wunderbar,
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Vierfarb zusammengestückt;
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Doch weilt er nicht bei der Bettlerschar,
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Herauf zum Saal er blickt.
 
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Herein zum Saal klein Roland tritt,
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Als wär's sein eigen Haus,
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Er hebt ene Schüssel von Tisches Mitt'
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Und trägt sie stumm hinaus.
 
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Der König denkt: ?Was muß ich sehn?
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Das ist ein sondrer Brauch."
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Doch weil er's ruhig läßt geschehn,
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So lassen's die andern auch.
 
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Es stund nur an eine kleine Weil',
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Klein Roland kehrt in den Saal.
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Er tritt zum König hin mit Eil'
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Und faßt seinen Goldpokal.
 
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?Heida! halt an, du kecker Wicht!"
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Der König ruft es laut.
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Klein Roland läßt den Becher nicht,
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Zum König auf er schaut.
 
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Der König erst gar finster sah,
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Doch lachen mußt' er bald.
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?Du trittst in die goldne Halle da
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Wie in den grünen Wald.
 
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Du nimmst die Schlüssel von Königs Tisch.
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Wie man Äpfel bricht vom Baum;
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Du holst wie aus dem Bronnen frisch
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Meines roten Weines Schaum."
 
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?Die Bäurin schöpft aus dem Bronnen frisch,
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Die bricht die Äpfel vom Baum;
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Meiner Mutter ziemet Wildbret und Fisch,
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Ihr roten Weines Schaum."
 
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?Ist deine Mutter so edle Dam',
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Wie du berühmst, mein Kind,
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So hat sie wohl ein Schloß lustsam
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Und stattlich Hofgesind?
 
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Sag an! wer ist denn ihr Truchseß?
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Sag an! wer ist ihr Schenk?"
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?Meine rechte Hand ist ihr Truchseß,
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Meine linke, die ist ihr Schenk."
 
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?Sag an! wer sind die Wächter treu?"
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?Meine Augen blau allstund."
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?Sag an! wer ist ihr Sänger frei?"
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?Der ist mein roter Mund."
 
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?Die Dam' hat wackre Diener, traun!
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Doch liebt sei sondre Livrei,
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Wie Regenbogen aunzuschaun,
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Mit Farben mancherlei."
 
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?Ich hab' bezwungen der Knaben acht
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Von jedem Viertel der Stadt,
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Die haben mir als Zins gebracht
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Vierfältig Tuch zur Wat."
 
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?Die Dame hat, nach meinem Sinn,
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Den besten Diener der Welt.
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Sie ist wohl Bettlerkönigin,
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Die offne Tagel hält.
 
89 
So edle Dame darf nicht fern
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Von meinem Hofe sein.
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Wohlauf, drei Damen! auf, drei Herrn!
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Führt sie zu mir herein!"
 
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Klein Roland trägt den Becher flink
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Hinaus zum Prunkgemach;
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Drei Damen auf des Königs Wink,
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Drei Ritter folgen nach.
 
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Es stund nur an eine kleine Weil',
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Der König schaut in die Fern',
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Da kehren schon zurück mit Eil'
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Die Damen und die Herrn.
 
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Der König ruft mit einem Mal:
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?Hilf, Himmel! seh' ich recht?
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Ich hab' verspottet im offnen Saal
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Mein eigenes Geschlecht.
 
105 
Hilf, Himmel! Schwester Berta, bleich,
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Im grauen Pilgergewand!
107 
Hilf, Himmel! in meinem Prunksaal reich
108 
Den Bettelstab in der Hand!"
 
109 
Frau Berta fällt zu Füßen ihm,
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Das bleiche Frauenbild.
111 
Da regt sich plötzlich der alte Grimm,
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Er blickt sie an so wild.
 
113 
Frau Berta senkt die Augen schnell,
114 
Kein Wort zu reden sich traut.
115 
Klein Roland hebt die Augen hell,
116 
Den Ohm begrüßt er laut.
 
117 
Da spricht der König in mildem Ton:
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?Steh auf, du Schwester mein!
119 
Um diesen deinen lieben Sohn
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Soll dir verziehen sein."
 
121 
Frau Berta hebt sich freudenvoll:
122 
?Lieb Bruder mein, wohlan!
123 
Klein Roland dir vergelten soll,
124 
Was du mir Guts getan.
 
125 
Soll werden seinem König gleich
126 
Ein hohes Heldenbild;
127 
Soll führen die Farb' von manchem Reich
128 
In seinem Banner und Schild.
 
129 
Soll greifen in manches Königs Tisch
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Mit seiner freien Hand;
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Soll bringen zu Heil und Ehre frisch
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Sein seufzend Mutterland."

Details zum Gedicht „Klein Roland“

Anzahl Strophen
33
Anzahl Verse
132
Anzahl Wörter
706
Entstehungsjahr
1787 - 1862
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Klein Roland“ des Autors Ludwig Uhland. Im Jahr 1787 wurde Uhland in Tübingen geboren. In der Zeit von 1803 bis 1862 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Der Schriftsteller Uhland ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kulturgeschichte, zeitlich anzusiedeln vom späten 18. Jahrhundert bis tief in das 19. Jahrhundert hinein. Auf die Literatur bezogen: von 1795 bis 1848. Sie hatte Auswirkungen auf Literatur, Musik, Philosophie und Kunst jener Zeit. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Romantikern zuwider. Sie stellten sich in ihren Schriften gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. In der Romantik finden sich verschiedene charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind bedeutende Motive. Auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben unbeachtet. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist völlig offen. Kein starres Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits direkt nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das vorliegende Gedicht umfasst 706 Wörter. Es baut sich aus 33 Strophen auf und besteht aus 132 Versen. Weitere Werke des Dichters Ludwig Uhland sind „Trinklied“, „Die Ulme zu Hirsau“ und „Das alte, gute Recht“. Zum Autor des Gedichtes „Klein Roland“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 57 Gedichte vor.

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