Elegie auf den Tod eines Jünglings. von Friedrich Schiller

Banges Stöhnen, wie vor’m nahen Sturme,
Hallet her vom öden Trauerhauß,
Todentöne fallen von des Münsters Thurme,
Einen Jüngling trägt man hier heraus:
Einen Jüngling – noch nicht reif zum Sarge,
In des Lebens Mai gepflükt,
Pochend mit der Jugend Nervenmarke
Mit der Flamme, die im Auge zükt;
Einen Sohn, die Wonne seiner Mutter,
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(O das lehrt ihr jammernd Ach)
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Meinen Busenfreund, Ach! meinen Bruder –
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Auf! was Mensch heißt, folge nach!
 
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Prahlt ihr Fichten, die ihr hoch veraltet
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Stürmen stehet und den Donner nekt?
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Und ihr Berge die ihr Himmel haltet,
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Und ihr Himmel die ihr Sonnen hegt?
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Prahlt der Greiß noch, der auf stolzen Werken
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Wie auf Woogen zur Vollendung steigt?
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Prahlt der Held noch, der auf aufgewälzten Thatenbergen
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In des Nachruhms Sonnentempel fleugt?
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Wenn der Wurm schon naget in den Blüthen:
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Wer ist Thor zu wähnen, daß er nie verdirbt?
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Wer dort oben hofft noch und hienieden
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Auszudauren – wenn der Jüngling stirbt?
 
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Lieblich hüpften, voll der Jugendfreude,
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Seine Tage hin im Rosenkleide
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Und die Welt, die Welt war ihm so süß –
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Und so freundlich, so bezaubernd winkte
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Ihm die Zukunft, und so golden blinkte
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Ihm des Lebens Paradies;
 
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Noch, als schon das Mutterauge thränte,
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Unter ihm das Todtenreich schon gähnte,
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Ueber ihm der Parzen Faden riß,
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Erd und Himmel seinem Blik entsanken,
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Floh er ängstlich vor dem Grabgedanken –
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Ach die Welt ist Sterbenden so süß.
 
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Stumm und taub ists in dem engen Hause
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Tief der Schlummer der Begrabenen;
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Bruder! Ach in ewig tiefer Pause
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Feiern alle deine Hoffnungen;
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Oft erwärmt die Sonne deinen Hügel,
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Ihre Glut empfindest du nicht mehr;
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Seine Blumen wiegt des Westwinds Flügel,
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Sein Gelispel hörest du nicht mehr;
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Liebe wird dein Auge nie vergolden,
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Nie umhalsen deine Braut wirst du,
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Nie, wenn unsre Thränen stromweis rollten, –
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Ewig, ewig sinkt dein Auge zu.
 
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Aber wohl dir! – köstlich ist dein Schlummer,
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Ruhig schläft sichs in dem engen Haus;
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Mit der Freude stirbt hier auch der Kummer,
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Röcheln auch der Menschen Qualen aus.
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Ueber dir mag die Verläumdung geifern,
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Die Verführung ihre Gifte spein,
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Ueber dich der Pharisäer eifern,
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Fromme Mordsucht dich der Hölle weihn,
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Gauner durch Apostel Masken schielen
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Und die Bastarttochter der Gerechtigkeit,
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Wie mit Würfeln, so mit Menschen spielen,
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Und so fort bis hin zur Ewigkeit.
 
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Ueber dir mag auch Fortuna gaukeln,
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Blind herum nach ihren Buhlen spähn,
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Menschen bald auf schwanken Thronen schaukeln,
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Bald herum in wüsten Pfüzen drehn;
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Wohl dir, wohl in deiner schmalen Zelle;
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Diesem komischtragischem Gewühl,
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Dieser ungestümmen Glückeswelle,
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Diesem possenhaften Lottospiel,
 
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Diesem faulen fleißigen Gewimmel,
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Dieser arbeitsvollen Ruh,
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Bruder! – diesem teufelvollen Himmel
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Schlos dein Auge sich auf ewig zu.
 
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Fahr dann wohl, du Trauter unsrer Seele,
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Eingewiegt von unsern Segnungen,
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Schlummre ruhig in der Grabeshöle
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Schlummre ruhig bis auf Wiedersehn!
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Bis auf diesen leichenvollen Hügeln
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Die allmächtige Posaune klingt,
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Und nach aufgerißnen Todesriegeln
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Gottes Sturmwind diese Leichen in Bewegung schwingt –
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Bis befruchtet von Jehovahs Hauche
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Gräber kreisen – auf sein mächtig Dräun
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In zerschmelzender Planeten Rauche
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Ihren Raub die Grüfte wiederkäun –
 
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Nicht in Welten, wie die Weisen träumen,
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Auch nicht in des Pöbels Paradiß,
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Nicht in Himmeln, wie die Dichter reimen, –
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Aber wir ereilen dich gewiß.
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Daß es wahr sey, was den Pilger freute?
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Daß noch jenseits ein Gedanke sey?
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Daß die Tugend über’s Grab geleite?
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Daß es mehr denn eitle Fantasey? – –
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Schon enthüllt sind dir die Räthsel alle!
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Wahrheit schlirft dein hochentzükter Geist,
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Wahrheit, die in tausendfachem Strale
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Von des grosen Vaters Kelche fleußt –
 
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Zieht dann hin, ihr schwarzen stummen Träger!
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Tischt auch den dem grosen Würger auf!
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Höret auf geheulergoßne Kläger!
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Thürmet auf ihm Staub auf Staub zu Hauf.
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Wo der Mensch der Gottes Rathschluß prüfte?
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Wo das Aug den Abgrund durchzuschaun?
 
103 
Heilig! Heilig! Heilig! Bist du Gott der Grüfte,
104 
Wir verehren dich mit Graun!
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Erde mag zurük in Erde stäuben,
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Fliegt der Geist doch aus dem morschen Hauß!
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Seine Asche mag der Sturmwind treiben,
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Seine Liebe dauert ewig aus!

Details zum Gedicht „Elegie auf den Tod eines Jünglings.“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
108
Anzahl Wörter
643
Entstehungsjahr
1782
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht ist die „Elegie auf den Tod eines Jünglings“ von Friedrich Schiller, einem der bedeutendsten Dichter der deutschen Klassik, was eine zeitliche Einordnung der Entstehungszeit in die Jahre um 1800 ermöglicht.

Auf den ersten Blick erscheint das Gedicht melancholisch und trauernd um den Tod eines jungen Mannes. Schiller stellt das Trauern um den geliebten Bruder und Freund, sowie den Schmerz der Menschen die ihn kannten in den Mittelpunkt des Gedichts. Gleichzeitig kontrastiert er diese Emotionen mit der ewigen Ruhe und der Unberührtheit des Jungen durch irdischen Kummer im Tod.

Im weiteren Verlauf des Gedichtes präsentiert Schiller Tod und Sterben als universelle Erfahrungen, die jedem Menschen zuteilwerden, ungeachtet des Alters oder der persönlichen Verdienste. Er zieht Parallelen zwischen der Vergänglichkeit des Lebens und der Dauerhaftigkeit von Naturphänomenen, wie Bergen und Sternen, und stellt den frühen Tod des jungen Mannes als einen wehmütigen Bruch in diesen natürlichen Kreislauf dar.

Formal besteht das Gedicht aus zwölf Strophen unterschiedlicher Länge, die hauptsächlich in Paarreimen strukturiert sind. Die Sprache ist komplex und verwendet viele Metaphern und Vergleiche, typisch für Schillers lyrische Werke. Die Trauer und der Schmerz des lyrischen Ichs wird durch den Gebrauch von Ausrufen und Interjektionen betont.

Im Laufe des Gedichts zeigt Schiller jedoch auch eine andere Seite des Todes: Die Ruhe und Befreiung von den Qualen des Lebens. Er spricht von der Unberührbarkeit des Toten durch Verleumdung, Betrug und Ungerechtigkeit und der Unterbrechung des ständigen Strebens und Lamentierens im Leben.

Trotz der melancholischen Töne, endet das Gedicht mit einer hoffnungsvollen Note. Schiller spricht von der Wiederauferstehung und dem ewigen Bestand der Liebe nach dem Tod. Damit deutet er auf eine metaphysische oder religiöse Komponente hin, indem er eine Existenz nach dem Tod und die Möglichkeiten von Wahrheit und Gerechtigkeit jenseits der Erde ins Spiel bringt.

Insgesamt verwebt Schiller in seiner „Elegie auf den Tod eines Jünglings“ auf geniale Weise die traurigen und sorgenvollen Aspekte des Todes mit einem Gefühl der Hoffnung und einer Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Wahrheit in einem ewigen Leben.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Elegie auf den Tod eines Jünglings.“ ist Friedrich Schiller. Schiller wurde im Jahr 1759 in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1782 zurück. Stuttgart ist der Erscheinungsort des Textes. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei Schiller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Literaturepochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren von 1765 bis 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Zeitgenössische Genieperiode oder Geniezeit sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System wendeten. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Autoren im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist im Grund genommen eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und endete mit Goethes Tod im Jahr 1832. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Der Begriff Humanität ist prägend für die Zeit der Weimarer Klassik. Die wichtigsten inhaltlichen Merkmale der Klassik sind: Selbstbestimmung, Harmonie, Toleranz, Menschlichkeit und die Schönheit. In der Gestaltung wurde das Gültige, Gesetzmäßige, Wesentliche aber auch die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache häufig derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die Hauptvertreter der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.

Das vorliegende Gedicht umfasst 643 Wörter. Es baut sich aus 12 Strophen auf und besteht aus 108 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Friedrich Schiller sind „An einen Moralisten“, „Bacchus im Triller“ und „Baurenständchen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Elegie auf den Tod eines Jünglings.“ weitere 220 Gedichte vor.

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