Elegie auf den Tod des Bruders meines Freundes von Johann Wolfgang von Goethe

Im düstern Wald, auf der gespaltnen Eiche,
Die einst der Donner hingestrekt,
Sing' ich um deines Bruders Leiche,
Die fern von uns ein fremdes Grab bedekt.
Nah schon dem Herbste seiner Jahre
Hoft er getrost der Thaten Lohn;
Doch unaufhaltsam trug die Baare
Ihn schnell davon.
 
Du weinest nicht? - Dir nahm ein langes Scheiden
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Die Hofnung ihn hier noch einmal zu sehn.
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Gott ließ vor dir ihn zu dem Himmel gehn;
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Du sahst's und konntest nichts als ihn beneiden.
 
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Doch horch - Welch eine Stimm’ voll Schmerz
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Tönt in mein Ohr von seinem Grabe?
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Ich eil’, ich seh’, sie ist’s! Ihr Herz
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Liegt mit in seinem Grabe.
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Verlassen, ohne Trost liegt hie,
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Mit ängstlicher Gebehrde
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Zu Gott gekehrt, als hofte sie,
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Das schönste Mädgen an der Erde.
 
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Nie hat ein Herz so viel gelitten,
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Herr, sieh herab auf ihre Noth,
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Und schenke gnädig ihren Bitten
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Sein Leben, oder ihren Tod.
 
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O Gott, bestrafest du die Liebe,
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Du Wesen voller Lieb und Huld?
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Denn nichts als eine heil’ge Liebe
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War dieser Unglükseel’gen Schuld.
 
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Sie hoft im hochzeitlichem Kleide
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Bald mit ihm zum Altar zu ziehn;
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Da riß sein Fürst von ihrer Seite
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Tyrannisch ihn.
 
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O Fürst, du kannst die Menschen zwingen,
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Für dich allein ihr Leben zu zubringen,
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Das wird man deinem Stolz’ verzeyhn;
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Doch willst du ihre Seelen binden,
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Durch dich zu denken, zu empfinden,
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Das muß zu Gott um Rache schreyn.
 
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Wie ward sein groses Herz durchstochen,
40 
Als er, der nie sein Wort gebrochen,
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Sein Wort zum erstenmale brach,
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Zum erstenmal es der Geliebten brach,
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Der, eh es noch sein Mund versprach,
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Sein Herz ein ewig Band versprochen.
 
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Als Bürger der bedrängten Erde
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Sprach er, kann ich nie deine seyn;
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Doch von der Furcht, daß ich dir untreu werde,
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Soll dich mein Tod befreyn.
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Leb' wohl, es wein bey meinem Grabe
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Jed' zärtlich Herz gerührt von meiner Treu,
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Dann eil' die stolze Tyranney,
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Der ich schon längst vergeben habe,
53 
Daß sie des Grabes Ursach sey,
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Unwillig fühlend, schnell vorbey.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.3 KB)

Details zum Gedicht „Elegie auf den Tod des Bruders meines Freundes“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
54
Anzahl Wörter
334
Entstehungsjahr
1767
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Elegie auf den Tod des Bruders meines Freundes“ wurde von Johann Wolfgang von Goethe verfasst, einem der bedeutendsten deutschen Dichter. Goethe lebte von 1749 bis 1832, daher lässt sich das Gedicht in die Epoche der Weimarer Klassik einordnen.

Beim ersten Eindruck wirkt das Gedicht sehr melancholisch und traurig, was auch durch den Titel bestätigt wird. Es befasst sich mit dem Tod und der Trauer um eine nahestehende Person.

Inhaltlich geht es um den Tod des Bruders eines Freundes des lyrischen Ichs, den der Erzähler mit Metaphern des düsteren Waldes und der gespaltenen Eiche darstellt. Das lyrische Ich drückt seine Trauer und sein Bedauern über den Tod des Bruders aus und richtet seinen Fokus auch auf die verbleibenden überlebenden Personen, die ihr Leid und ihren Schmerz noch ertragen müssen. Der Tod wird hier als unaufhaltsam und endgültig dargestellt. Eine wichtige Rolle spielt auch das Mädgen, das aufgrund des Todes seines Geliebten leidet, vermutlich die Verlobte des verstorbenen Bruders. Sie wird als hoffnungslos und voller Trauer dargestellt. Es wird eine Spannung zwischen irdischer Tyrannenherrschaft und göttlicher Gerechtigkeit aufgebaut - der Verstorbene wurde „tyrannisch“ von seiner Seite gerissen.

Formal besteht das Gedicht aus neun Strophen mit unterschiedlicher Versanzahl. Jede Strophe behandelt einen Aspekt der Trauer und der daraus resultierenden Emotionen. Durch den Wechsel zwischen kurzen und langen Strophen entsteht ein abwechslungsreicher Rhythmus, der das Interesse des Lesers aufrechterhält.

Die Sprache des Gedichts ist sehr emotional und bildhaft. Es wird eine düstere Atmosphäre geschaffen, die die Traurigkeit und das Leid der hinterbliebenen Personen widerspiegelt. Trotz des schweren Themas ist die Sprache ästhetisch ansprechend und poetisch.

Insgesamt ist das Gedicht „Elegie auf den Tod des Bruders meines Freundes“ von Goethe ein tief berührendes Werk, das sowohl die Trauer um einen verstorbenen Menschen als auch die Hoffnungslosigkeit und den Schmerz der Hinterbliebenen eindrucksvoll darstellt. Es wirft Fragen nach der Gerechtigkeit des Lebens und dem Wert von Loyalität und Liebe auf.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Elegie auf den Tod des Bruders meines Freundes“ ist Johann Wolfgang von Goethe. 1749 wurde Goethe in Frankfurt am Main geboren. 1767 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Goethe ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von etwa 1765 bis 1790 und wird häufig auch zeitgenössische Genieperiode oder Geniezeit genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Der Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Protest- und Jugendbewegung gegen die aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Schriftsteller im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Schriftstellern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit seinen beiden wichtigen Vertretern Goethe und Schiller entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar) ist einer der bedeutendsten Dichter der Weimarer Klassik. 1786 unternahm Goethe eine Italienreise, diese wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Das Ende der Literaturepoche ist im Jahr 1832 auszumachen. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Statt auf Konfrontation und Widerspruch wie noch in der Aufklärung oder im Sturm und Drang strebte die Klassik nach Harmonie. Die wichtigsten Werte sind Menschlichkeit und Toleranz. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ziel der Literaturepoche der Klassik war es die ästhetische Erziehung des Menschen zu einer „charakterschönen“ Persönlichkeit zu forcieren. In der Gestaltung wurde das Wesentliche, Gültige, Gesetzmäßige aber auch die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oftmals derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die Hauptvertreter der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Schiller und Goethe.

Das 334 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 54 Versen mit insgesamt 9 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Wolfgang von Goethe sind „Alexis und Dora“, „Am 1. October 1797“ und „Amytnas“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Elegie auf den Tod des Bruders meines Freundes“ weitere 1618 Gedichte vor.

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