Einsiedlers heiliger Abend von Joachim Ringelnatz

Ich hab’ in den Weihnachtstagen –
Ich weiß auch, warum –
Mir selbst einen Christbaum geschlagen,
Der ist ganz verkrüppelt und krumm.
 
Ich bohrte ein Loch in die Diele
Und steckte ihn da hinein
Und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.
 
Und zierte, um Baumschmuck und Lichter
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Zu sparen, ihn abends noch spät
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Mit Löffeln, Gabeln und Trichter
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Und anderem blanken Gerät.
 
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Ich kochte zur heiligen Stunde
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Mir Erbsensuppe mit Speck
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Und gab meinem fröhlichen Hunde
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Gulasch und litt seinen Dreck.
 
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Und sang aus burgundernder Kehle
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Das Pfannenflickerlied.
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Und pries mit bewundernder Seele
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Alles das, was ich mied.
 
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Es glimmte petroleumbetrunken
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Später der Lampendocht.
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Ich saß in Gedanken versunken.
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Da hat’s an der Türe gepocht,
 
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Und pochte wieder und wieder.
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Es konnte das Christkind sein.
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Und klang`s nicht wie Weihnachtslieder?
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Ich aber rief nicht: „Herein!“
 
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Ich zog mich aus und ging leise
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Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,
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Und dankte auf krumme Weise
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Lallend dem lieben Gott.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Einsiedlers heiliger Abend“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
158
Entstehungsjahr
1933
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht „Einsiedlers heiliger Abend“ ist aus der Feder von Joachim Ringelnatz, einem der bekanntesten Dichter der Weimarer Republik. Ringelnatz wurde am 7. August 1883 geboren und starb am 17. November 1934. Seine Werke lassen sich damit der literarischen Epoche der Moderne zuordnen.

Der erste Eindruck des Gedichts ist einer von Schlichtheit und Volksnähe, was typisch für Ringelnatz' Humor und Herangehensweise ist. Die Verse sind direkt und ehrlich, sie verzichten auf hochtrabende Metaphern oder komplizierte Albildungen.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um eine eigentümliche Art, Weihnachten zu feiern. Das lyrische Ich verbringt den heiligen Abend allein und auf eine unkonventionelle Weise. Es schlägt selbst einen verkrüppelten, krummen Weihnachtsbaum und dekoriert diesen mit Küchenutensilien statt traditionellem Baumschmuck. Die Feierlichkeiten bestehen aus Erbsensuppe mit Speck und dem Füttern des eigenen Hundes, begleitet von burgunderndem Gesang und tiefen Gedanken. Als schließlich jemand an die Tür klopft, reagiert das lyrische Ich abweisend und lässt den möglichen Besucher nicht herein.

Das lyrische Ich demonstriert in diesem Gedicht eine Haltung der Selbstgenügsamkeit, Einsamkeit und Abkehr von traditionellen Ritualen. Es scheint einen eigenen, unkonventionellen Weg gefunden zu haben, Weihnachten zu feiern, frei von gesellschaftlichen Erwartungen und Vorgaben.

Das Gedicht ist in acht Strophen unterteilt, jede bestehend aus vier Versen. Es handelt sich also um eine Form des Reimquartetts. Die Sprache des Gedichts ist einfach und alltäglich, was der Handlung eine volksnahe und authentische Atmosphäre verleiht. Die wenigen, dafür aber einprägsamen Bilder (wie etwa der krumme Christbaum oder die mit Küchengerät geschmückte Tanne) werden durch die direkte Sprache noch betont.

Insgesamt ist „Einsiedlers heiliger Abend“ ein eindrucksvolles Beispiel für Ringelnatz' talentierte Kombination aus Alltagssprache und humorvoller Distanz. Es gelingt ihm, das traditionelle Weihnachtsfest auf unkonventionelle Weise darzustellen und dem Leser gleichzeitig einen spitzbübischen Spiegel vorzuhalten.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Einsiedlers heiliger Abend“ des Autors Joachim Ringelnatz. Im Jahr 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1933. In Berlin ist der Text erschienen. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Bei Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 158 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Der Dichter Joachim Ringelnatz ist auch der Autor für Gedichte wie „Abermals in Zwickau“, „Abgesehen von der Profitlüge“ und „Abglanz“. Zum Autor des Gedichtes „Einsiedlers heiliger Abend“ haben wir auf abi-pur.de weitere 560 Gedichte veröffentlicht.

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