Im Irrenhause von Ferdinand Freiligrath

Nun noch in diese Kammer tritt
Ein einzig Fenster gibt ihr Helle!
Starr, wie ein Steinbild von Granit,
Dasteht der Insaß dieser Zelle!
Dasteht er wie ein Toter schier
Nichts, was ihn störte, was ihn weckte!
Sein gläsern Auge funkelt stier,
Wie Macbeths, als ihn Banquo schreckte!
 
Da jach kommt Leben in den Stein!
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Er springt zurück - was muß er schauen?
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Von wannen nur dringt auf ihn ein
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Haarsträubend dieses wüste Grauen?
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Er hält die Hände schirmend vor,
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Als säh' er Schwerter oder Flammen;
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Er schüttelt sich und heult empor
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Und bricht mit Klagelaut zusammen!
 
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Und ruft: »Hab' ich euch doch erdolcht!
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Was braucht ihr fürder mich zu quälen?
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Wer schickt euch, daß ihr mich verfolgt,
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Blutrünstige Gedankenseelen?
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Wer hat den Rückweg euch gebahnt
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Aus eurem Nichts, ihr trotzigen Dinger,
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Daß an die Schlachtzeit ihr mich mahnt,
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Drin euch hineinwies dieser Finger?
 
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Lautlos, wie Ähren, sankt ihr hin,
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Legionenweis - ha, welch ein Mähen!
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Nie kam mir damals in den Sinn,
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Ihr könntet wieder auferstehen!
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Hu - ob ihr's könnt! Im Palast hier
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Erfuhr ich's, drin ich gern sonst wohne,
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Seit ihn für treue Dienste mir
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Anwies als Eigentum die Krone!
 
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Ein prächt'ger Bau! Doch ganz und gar
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Ein Spukhaus eben, will mich dünken!
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Weh - eine zorn'ge Leichenschar,
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Stürmt ihr heran, mein Blut zu trinken!
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Anstürmt ihr, abgehetzt und bleich,
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Doch auf den Stirnen Mut und Klarheit!
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Zwei hohe Weiber führen euch
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Die Freiheit, glaub' ich, und die Wahrheit!
 
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Ja doch, die sind's! - Für sie ja quollt
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Aus Schädeln ihr, tollkühnen, frechen!
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Dreist ihr Gesetz habt ihr entrollt
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Und jetzt wollt ihr den Hals mir brechen!
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Hohnlachend jetzt den Todestoß
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Nach meinem Herzen wollt ihr führen
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Fort, ihr Gesindel, laßt mich los!
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Ich will mit euch kapitulieren!
 
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Ja - aber wie? - der Teufel weiß!
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Halt - hab' ich euch denn nicht verboten?
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Was denn umsteht ihr mich im Kreis?
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Ihr seid ja tot! Fort zu den Toten!
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Fort - hier bin ich im Recht - erlaubt
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Bückt euch - ich will euch nur zertreten!
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Weh mir, ihr schüttelt ernst das Haupt!
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Ihr sagt: Der Geist läßt sich nicht töten!
 
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Der Geist? - nicht töten? - Ach, ich Tor!
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Mir gleich, was sie für Reden führen!
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Und doch - wer raunt mir denn ins Ohr:
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Nicht töten, aber wohl verlieren!
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Ja so - den Geist - so mein' ich's auch!
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Wie ist mir denn? - ich steh' geschlagen!
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Was kann ein armer Zensor auch
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Dem Geiste nur vom Geiste sagen?
 
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Ihr lacht, Gesindel? - Allesamt
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Flugs in den Staub vor mir gesunken!
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Hui da, was wollt ihr nur? - Verdammt!
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Zu mächtig sind mir die Halunken!
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Die Wahrheit schlägt mich ins Gesicht,
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Die Freiheit bindet mir die Fäuste,
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Anrasseln die Gedanken dicht.
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Weh - wie geschieht mir - Fluch dem Geiste!
 
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Nein, Gnade, Gnade! Los die Hand!
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Los! O, wie viele waren härter
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Als ich!« - Er fliegt hinan die Wand
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Da faßt den Rasenden der Wärter.
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Gebändigt hat ihn Jack' und Schnur,
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Auf seinem Lager sieh ihn kauern!
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Komm nun - er war ein Werkzeug nur!
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Laß uns nicht richten - nur bedauern!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.3 KB)

Details zum Gedicht „Im Irrenhause“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
80
Anzahl Wörter
517
Entstehungsjahr
1844
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Ferdinand Freiligrath ist der Autor des Gedichtes „Im Irrenhause“. Geboren wurde Freiligrath im Jahr 1810 in Detmold. Das Gedicht ist im Jahr 1844 entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Bei dem Schriftsteller Freiligrath handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 517 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 80 Versen. Ferdinand Freiligrath ist auch der Autor für Gedichte wie „Springer“, „Von unten auf“ und „Vor der Fahrt“. Zum Autor des Gedichtes „Im Irrenhause“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 65 Gedichte vor.

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