Chloris von Christian Fürchtegott Gellert

1	Aus Eifersucht des Lebens satt,
2	Warf Chloris sich betrübt auf ihre Lagerstatt;
3	Und ihren Buhler recht zu kränken,
4	Der einen Blick nach Sylvien gethan,
5	Rief sie die Venus brünstig an,
6	Ihr einen leichten Tod zu schenken.
7	Vielleicht war dies Gebet so eifrig nicht gemeint.
8	Verliebt und jung zu sein, und um den Tod zu flehen:
9	Wem dies nicht widersprechend scheint,
10	Der muß die Liebe schlecht verstehen.
11	Doch mitten in der größten Pein
12	Sieht Chloris ihren Freund geputzt ins Zimmer treten,
13	Und plötzlich hört sie auf zu beten
14	Und wünscht nicht mehr, entseelt zu sein.
15	Er sagt ihr tausend Schmeicheleien;
16	Er seufzt, er fleht, er schwört, er küßt.
17	O Chloris! laß dich's nicht gereuen,
18	Daß du noch nicht gestorben bist;
19	Dein Damon schwört, dich ewig treu zu lieben,
20	Wie könntest du ihn doch durch deinen Tod betrüben?
21	Der meisten Schönen Zorn gleicht ihrer Zärtlichkeit,
22	Sie dauern beide kurze Zeit;
23	Und Chloris ließ sich bald versöhnt von dem umfangen,
24	Den sie vor kurzem noch des Hasses würdig fand.
25	Sie klopft ihn auf die braunen Wangen
26	Und streichelt ihn mit buhlerischer Hand.
27	Doch schnell erstarren ihre Hände.
28	Wie, Venus! Nähert sich ihr Ende?
29	Sie fällt in sanfter Ohnmacht hin;
30	Ein kleiner Schnabel wird aus ihrem kleinen Kinn;
31	Zu Flügeln werden ihre Hände;
32	Ihr Busen wird mit einem Kropf verbaut;
33	Und Federn überziehn die Haut.
34	Ist's möglich, daß ich dieses glaube?
35	Ja! Chloris wird zu einer Taube.
36	Wie zittert ihr Geliebter nicht!
37	Hier sieht er seine Schöne fliegen.
38	Sie fliegt ihm dreimal ums Gesicht,
39	Als wollte sie sich noch durch einen Kuß vergnügen.
40	Wozu sie sonst die Neigung angetrieben,
41	Das scheint sie auch als Taube noch zu lieben.
42	Das Putzen war ihr Zeitvertreib.
43	O seht, wie putzt sie ihren Leib!
44	Sie rupft die Federn aus, um sich recht glatt zu machen;
45	Sie fliegt ans Waschfaß hin, thut, was sie sonst gethan,
46	Fängt Hals und Brust zu baden an.
47	Wie schön hör' ich die Taube lachen!
48	Fragt nicht, was sie zu lachen macht!
49	Sie hat als Chloris schon oft über nichts gelacht.
50	Itzt naht sie sich dem großen Spiegel,
51	Vor dem sie manchen Tag in Mienen sich geübt,
52	Besieht den weißen Hals, bewundert ihre Flügel
53	Und fängt schon an, in sich verliebt,
54	Mit jüngferlichem Stolz sich kostbar zu gebärden.
55	»Ach Götter!« ruft ihr Freund betrübt,
56	»Laßt diese Taube doch zur Chloris wieder werden.«
57	»Umsonst«, spricht Venus, »ist dein Flehn;
58	Zur Taube schickte sie sich schön,
59	Und niemals werd' ich ihr die Menschheit wieder geben.
60	Sie hat geseufzt, gebuhlt, gelacht,
61	Sich stets geputzt und nie gedacht;
62	Als Taube kann sie recht nach ihrer Neigung leben.«
63	O! wenn sich nur die Göttin nicht entschließt,
64	Die Schönen alle zu verwandeln,
65	Die ebenso, wie Chloris, handeln!
66	Man sagt, daß sie es willens ist.
67	Ach, Göttin, ach! wie zahlreich wird auf Erden
68	Alsdann das Volk der Tauben werden!
69	Mit einer Frau wird man zu Bette gehn,
70	Und früh auf seiner Brust ein Täubchen sitzen sehn.
71	Mich dauert im voraus manch reizendes Gesicht.
72	O liebe Venus, tu' es nicht!

Details zum Gedicht „Chloris“

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Chloris“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Christian Fürchtegott Gellert. 1715 wurde Gellert in Hainichen geboren. Im Zeitraum zwischen 1731 und 1769 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Aufklärung kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Gellert handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 498 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 72 Versen. Christian Fürchtegott Gellert ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Kind mit der Schere“, „Der junge Krebs und die Seemuschel“ und „Das Glück und die Liebe“. Zum Autor des Gedichtes „Chloris“ haben wir auf abi-pur.de weitere 164 Gedichte veröffentlicht.

Weitere Gedichte des Autors Christian Fürchtegott Gellert (Infos zum Autor)

• Der Selbstmord
• Nicht jede Besserung ist Tugend
• Der Jüngling und der Greis
• Krispin und Krispine
• Das Testament
• Der reiche Geizhals
• Der Leichtsinn
• Das Kind mit der Schere
• Der junge Krebs und die Seemuschel
• Das Glück und die Liebe

Zum Autor Christian Fürchtegott Gellert sind auf abi-pur.de 164 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.