Einem Sommer von Otto Ernst

Sommer, eh’ du nun entwandelst
Über sonnenrote Höhn,
Soll dir meine Seele sagen,
Wie du mir vor allen schön!
 
Wähne nicht, daß meinem Herzen
Sommer so wie Sommer sei;
Seltsam wie der Wolken Wandel
Ziehn die Zeiten ihm vorbei.
 
Und wie du hervorgetreten
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Aus der Zukunft ernstem Tor,
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Atmete aus dumpfen Qualen,
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Atmete dies Herz empor ...
 
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Dankbar will ich das nun singen:
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Wie die Wiese lag im Glanz
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Und du gingst am Rand im Schatten,
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Und dein Gehn war Klang und Tanz –
 
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Wie auf Wolken du gefahren,
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Deren Weg dein Hauch gebeut,
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Wie du in den hohen Himmel
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Weiße Rosen hingestreut –
 
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Wie du aus des Nußbaums Wipfel
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Durchs Gezweige sahst herab –
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Wie du rote Blüte gossest
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Über ein versunknes Grab –
 
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Wie im Wald am schwarzen Stamme
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Stumm du standest, schwertbereit,
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Als ein sonnenblanker Ritter
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Aus verklung’ner Heldenzeit -
 
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Wie du alle Glocken schwangest
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Zum beglühten Turm des Doms –
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Wie du rötlich hingewandelt
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Auf der Wellenflur des Stroms,
 
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Oder wie du braun von Wangen
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Westlich schrittest durch das Feld
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Und mit einer Amsel Tönen
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Leis’ erweckt die Sternenwelt ...
 
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Hoher, ehe du entwandelst
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In den Saal „Vergangenheit“,
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Nimm mit dir wie Hauch der Felder
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Diesen Hauch der Dankbarkeit!
 
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Wo gestorb’ne Sommer wandeln
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Hinter nachtumraunten Höhn,
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Wo nur Schatten dich umschweigen,
44 
Soll er singend mit dir gehn.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Einem Sommer“

Autor
Otto Ernst
Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
44
Anzahl Wörter
216
Entstehungsjahr
1907
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das behandelte Gedicht trägt den Titel „Einem Sommer“ und wurde von Otto Ernst (1862-1926) verfasst. Daher kann es dem späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert zugeordnet werden, einer Zeit, in der die literarische Strömung des Naturalismus vorherrschte.

Beim ersten Lesen des Gedichtes fallen vor allem die zahlreichen Natursymbole und die tiefe Verbundenheit des lyrischen Ichs mit der Jahreszeit Sommer auf. Es scheint eine Art romantische Ode an den Sommer zu sein, der für das lyrische Ich eine besondere Bedeutung zu haben scheint.

Im Gedicht dankt das lyrische Ich dem Sommer für seine Schönheit und die erfüllende Erfahrung seiner Gegenwart. Jeder Sommer ist für das lyrische Ich einzigartig, da er die „Zeiten“ unterschiedlich an sich vorbeiziehen sieht (Vers 8). Der Sommer bringt ihm Befreiung und Erneuerung (Verse 9-12), und wird beschrieben als eine erhabene Erscheinung, die die Welt mit ihrer Präsenz belebt (Verse 13-36). Bevor der Sommer endet und nur noch eine Erinnerung („Vergangenheit“) bleibt, bringt das lyrische Ich seinen Dank zum Ausdruck (Verse 37-40). Selbst wenn der Sommer vorbei ist und nur noch seine Schatten („gestorb’ne Sommer“) präsent sind, soll der Dank des lyrischen Ichs (der „Hauch der Dankbarkeit“) mit ihm gehen und ihn begleiten (Verse 41-44).

In puncto Form und Sprache ist eine klare, regelmäßige Strophenform mit jeweils vier Versen zu erkennen, was eine Ordnung und Struktur suggeriert, die der flüchtigen Schönheit des Sommers gegenübergestellt wird. Sprachlich sticht die Anwendung zahlreicher Naturmetaphern hervor, die den Sommer personifizieren, wie zum Beispiel „rötlich hingewandelt“, „von Wangen“, „höhen Himmel“ oder „Aus der Zukunft ernstem Tor“. Dies verleiht dem Gedicht einen lyrischen, fast schon mystischen Charakter. Auch die Syntax ist auffällig: Ernst nutzt Hypotaxen und Inversionen, um die Struktur der Verse flexibel zu halten und die Leser zum Nachdenken anzuregen. Dabei verwendet er eine eher hohesprachliche, poetische Diktion.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Einem Sommer“ des Autors Otto Ernst. Ernst wurde im Jahr 1862 in Ottensen bei Hamburg geboren. 1907 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Moderne zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das Gedicht besteht aus 44 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 216 Worte. Otto Ernst ist auch der Autor für Gedichte wie „Auflösung“, „Aus einer Nacht“ und „Ausflug“. Zum Autor des Gedichtes „Einem Sommer“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 64 Gedichte vor.

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