Eine Ostererinnerung von Louise Otto-Peters
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Erinn’rung ruft in meiner Seele |
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Ein Bild herauf aus früher Zeit: |
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Das Herz war rein und ohne Fehle, |
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Ein Schneeglöcklein im Frühlingskleid. |
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Wie das sich wiegt auf zartem Stengel, |
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Von jedem leisen Hauch berührt, |
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So bebt’ ich, da der Kindheit Engel |
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Zu dem der Jugend mich geführt. |
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Am Osterfest im Feierkleide |
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Kniet ich am heiligen Altar, |
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Die Engel schwebten mir zur Seite, |
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Der Priester bot den Kelch mir dar: |
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„Ich will“ – er sprach mit leisem Beben |
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Den Spruch, den er als Segen bot – |
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„Dir einst des Lebens Krone geben, |
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Doch sei getreu bis in den Tod.“ |
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„Bis in den Tod!“ das Wort schlug zündend |
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In meine Brust wie Blitzesstrahl, |
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Den Kampf des Lebens mir verkündend |
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Mit Feindesmächten ohne Zahl. |
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Der goldne Kelch mit seinem Blinken, |
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Ward zum prophetischen Symbol –, |
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Vom Kelch des Leidens sollt’ ich trinken |
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Noch oft und viel – ich ahnt’ es wohl. |
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Ich ahnt’ es wohl mit stillem Schauer – |
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Mir war, ich sei zum Kampf gefeit; |
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In meine Brust kam keine Trauer, |
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Still ward mein Herz und groß und weit; |
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Es sehnte sich nach großen Stunden |
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Von Kampfbegeisterung entbrannt, |
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Es bebte nicht vor tiefen Wunden |
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Geschlagen von des Schicksals Hand. |
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Ich eilte vom Altar der Weihe |
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Hinaus in die erwachte Flur, |
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Die Lerche schmetterte, die freie, |
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Rings lachte hold des Lenzes Spur; |
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Die ersten Veilchen sah ich blühen – |
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Ein Dornenstrauch darüber stand, |
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Ich pflückte sie mit stillem Mühen – |
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Und Blut entquoll der Kindeshand. |
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Ein neu’ Symbol! ich kniete nieder |
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Und betete zu Gott empor: |
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„O gieb mir Veilchen, gieb mir Lieder, |
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Wie frei sie singt der Lerchenchor |
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Vom Kelch der Leiden will ich trinken. – |
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Er ist der Kelch des Lebens auch! |
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Im Kampfe soll der Mut nicht sinken, |
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Im Sturm weht der Begeistrung Hauch!“ |
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„Ich möchte Dich um Leiden flehen |
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Statt sanfter Ruhe, die erschlafft, |
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Ich kann dem Schmerz ins Auge sehen, |
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Denn nur im Kampfe wächst die Kraft“ – |
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Der Himmel stand in Sonnenflammen, |
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Im Westen glühte Abendroth, |
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Ich schauerte in mir zusammen: |
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„Laß mich getreu sein bis zum Tod.“ |
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Ein träumend Kind von fünfzehn Jahren, |
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Das solch Gebet mit Andacht sprach – |
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War wohl ein Frevel solch Gebahren? |
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Ich sinne still der Frage nach. |
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Erhört ward des Gebetes Schauer, |
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Es kam das Leid und Kampf und Schmerz, |
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Es kamen Tage tiefster Trauer, |
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Und keine Ruhe fand das Herz! |
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Wohl fliegen Engel auf und nieder |
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Und standen ihm im Leide bei, |
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Wohl fand es freie Lerchenlieder, |
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Ward ihm zum Lied der Schmerzensschrei; |
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Wohl blühten Veilchen ihm im Lenze, |
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Im Sommer Rosen wonnevoll – |
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Doch auf der Liebe schönste Kränze |
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Des Auges Schmerzensthräne quoll. |
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Du hast’s erfleht, Du darfst nicht klagen, |
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Sei stark mein Herz im neuen Streit! |
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Kein Ruhen gilt und kein Verzagen, |
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Du bist gestählt im Kampf und Leid. |
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Und kannst Du nicht mehr überwinden |
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Das Schwerste, was das Schicksal bot, |
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Dann wird der letzte Kampf Dich finden: |
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Du konntest „treu sein bis zum Tod!“ |
Details zum Gedicht „Eine Ostererinnerung“
Louise Otto-Peters
10
80
478
1860-1870
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Eine Ostererinnerung“ stammt von Louise Otto-Peters, einer deutschen Schriftstellerin und Aktivistin für Frauenrechte, die von 1819 bis 1895 lebte. Sie gehörte zur Epoche des Vormärz und der Biedermeier, wobei ihre Werke oft durch ihre politischen Überzeugungen geprägt waren.
Auf den ersten Blick erweckt das Gedicht einen Eindruck von Nostalgie und reflektiert gleichzeitig ernste Themen wie Glaube, persönlicher Kampf und Schicksal. Es besteht aus zehn Strophen, und jede besteht aus acht Versen. Dieses Muster schafft einen Rhythmus, der das Lesen erleichtert und die Botschaft deutlich macht.
Im Inhalt lässt das lyrische Ich eine Erinnerung aus Kinder- und Jugendzeit wiederaufleben. Es reflektiert über den Moment des Übergangs in die Jugend und das tiefe Gefühl der Verantwortung, das mit der religiösen Zeremonie der Erstkommunion einhergeht. Das lyrische Ich ahnt, dass das Leben Herausforderungen und Leiden mit sich bringen wird und bittet Gott darum, in diesen Kämpfen bestehen zu können. Leid und Kampf werden dabei als notwendig und sogar erstrebenswert dargestellt, da sie zur persänlichen Entwicklung und Reifung beitragen.
Die Sprache des Gedichts ist aussagekräftig und emotional, mit starken Bildern und Vergleichen. Die Nutzung christlicher Symbolik (der Kelch, Engel, Osterfest) und natürlichen Symbolik (Schneeglöckchen, Veilchen, Frühlingsszenen) schafft eine Atmosphäre von Erhabenheit und Transzendenz, verankert die spirituelle Dimension des Gedichts in der physischen Welt und betont die menschliche Erfahrung des Glaubens und des Leidens.
Die Form des Gedichts folgt einem klaren Muster von acht Versen pro Strophe. Es gibt keine spezifische Reimstruktur, was auf den free verse Stil hinweisen kann, der häufig in der modernen Poesie gefunden wird, aber es gibt teilweise assonante und dissonante Reimbeziehungen zwischen den Versen. Diese Form in Kombination mit der emotional aufgeladenen Sprache des Gedichts erinnert an die lyrische Poesie und unterstreicht die introspektive und persönliche Natur des Gedichts.
Abschließend lässt sich sagen, dass „Eine Ostererinnerung“ ein schön strukturiertes und bedeutungsvolles Gedicht ist, das die ernste Auseinandersetzung mit dem persönlichen Glauben, das Erwachsenwerden und die Akzeptanz des Lebensleidens auf eine erschütternde Art und Weise erforscht.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Eine Ostererinnerung“ der Autorin Louise Otto-Peters. Geboren wurde Otto-Peters im Jahr 1819 in Meißen. Das Gedicht ist im Jahr 1870 entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das Gedicht besteht aus 80 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 478 Worte. Die Gedichte „An Richard Wagner“, „Auf dem Kynast“ und „Bergbau“ sind weitere Werke der Autorin Louise Otto-Peters. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Eine Ostererinnerung“ weitere 106 Gedichte vor.
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Zum Autor Louise Otto-Peters sind auf abi-pur.de 106 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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