Eine Leichenfantasie von Friedrich Schiller

(in Musik zu haben beim Herausgeber.)

Mit erstorbnem Scheinen
Steht der Mond auf todenstillen Haynen,
Seufzend streicht der Nachtgeist durch die Luft –
Nebelwolken schauern,
Sterne trauern
Bleich herab, wie Lampen in der Gruft.
Gleich Gespenstern, stumm und hohl und hager
Zieht in schwarzem Todenpompe dort
Ein Gewimmel nach dem Leichenlager
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Unterm Schauerflor der Grabnacht fort.
 
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Zitternd an der Krüke
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Wer mit düstern rükgesunknem Blike
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Ausgegossen in ein heulend Ach,
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Schwer genekt vom eisernen Geschike
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Schwankt dem stummgetragnen Sarge nach?
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Floß es, Vater, von des Jünglings Lippe?
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Nasse Schauer schauern fürchterlich
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Durch sein gramgeschmolzenes Gerippe,
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Seine Silberhaare bäumen sich. –
 
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Aufgerissen seine Feuerwunde!
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Durch die Seele Höllenschmerz!
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Vater floß es von des Jünglings Munde,
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Sohn gelispelt hat das Vaterherz.
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Eißkalt, eißkalt liegt er hier im Tuche,
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Und dein Traum so golden einst so süß!
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Süß und golden Vater dir zum Fluche!
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Eißkalt, eißkalt liegt er hier im Tuche!
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Deine Wonne und dein Paradis. –
 
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Mild, wie umweht von Elisiumslüften,
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Wie aus Auroras Umarmung geschlüpft,
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Himmlisch umgürtet mit rosigten Düften,
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Florens Sohn über das Blumenfeld hüpft,
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Flog er einher auf den lachenden Wiesen
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Nachgespiegelt von silberner Flut,
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Wollustflammen entsprühten den Küssen,
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Jagten die Mädchen in liebende Glut.
 
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Mutig sprang er im Gewüle der Menschen,
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Wie auf Gebirgen ein jugendlich Reh,
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Himmelum flog er in schweifenden Wünschen,
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Hoch wie die Adler in wolkigter Höh,
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Stolz wie die Rosse sich sträuben und schäumen,
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Werfen im Sturme die Mähnen umher,
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Königlich wider den Zügel sich bäumen,
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Trat er vor Sklaven und Fürsten daher.
 
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Heiter wie Frühlingstag schwand ihm das Leben,
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Floh ihm vorüber in Hesperus Glanz,
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Klagen ertränkt’ er im Golde der Reben,
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Schmerzen verhüpft’ er im wirbelnden Tanz.
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Welten schliefen im herrlichen Jungen,
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Ha! wenn er einsten zum Manne gereift –
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Freue dich Vater! – im herrlichen Jungen
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Wenn einst die schlafenden Keime gereift.
 
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Nein doch Vater – Horch! die Kirchhofthüre brauset,
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Und die eh’rnen Angel klirren auf –
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Wie’s hinein ins Grabgewölbe grauset! –
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Nein doch laß den Thränen ihren Lauf. –
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Geh du holder, geh im Pfad der Sonne
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Freudig weiter der Vollendung zu,
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Lösche nun den edeln Durst nach Wonne
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Gramentbundner, in Walhallas Ruh –
 
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Wiedersehen – himmlischer Gedanke! –
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Wiedersehen dort an Edens Thor!
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Horch! der Sarg versinkt mit dumpfigem Geschwanke,
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Wimmernd schnurrt das Todenseil empor!
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Da wir trunken um einander rollten,
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Lippen schwiegen, und das Auge sprach –
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Haltet! haltet! da wir boshaft grollten –
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Aber Thränen stürzten wärmer nach – –
 
69 
Mit erstorbnem Scheinen
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Steht der Mond auf todenstillen Haynen,
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Seufzend streicht der Nachtgeist durch die Luft.
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Nebelwolken schauern,
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Sterne trauern
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Bleich herab wie Lampen in der Gruft.
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Dumpfig schollerts überm Sarg zum Hügel,
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O um Erdballs Schäze nur noch einen Blik!
 
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Starr und ewig schließt des Grabes Riegel,
78 
Dumpfer – dumpfer schollerts über’m Sarg zum Hügel,
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Nimmer gibt das Grab zurük.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.4 KB)

Details zum Gedicht „Eine Leichenfantasie“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
79
Anzahl Wörter
445
Entstehungsjahr
1780
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das gegebene Gedicht heißt „Eine Leichenfantasie“ und wurde von Friedrich Schiller verfasst, einem der bekanntesten Dichter der deutschen Literatur, der von 1759 bis 1805 lebte. In Bezug auf den literarischen Kontext gehört dieses Gedicht zur Weimarer Klassik, die sich durch eine perfekte Einheit von Inhalt und Form auszeichnet und ein hohes Niveau an ästhetischem und moralischem Anspruch repräsentiert.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht düster und tragisch, was sich durch die konsequente Darstellung von Tod, Trauer und Traurigkeit erklärt. Inhaltlich folgt das Gedicht dem Leiden und der Trauer eines Vaters über den Verlust seines Sohnes, der jung und voller Lebensfreude gestorben ist.

Das lyrische Ich wendet sich direkt an den Vater und beschreibt das Leid, das er bei der Beerdigung erfährt. Es reflektiert auch die vergangenen Tage, als der Sohn noch lebte - und wie sein Tod diesen Zustand des Glücks und der Harmonie zerstört hat, was die Tragik des Textes noch verstärkt.

Die Form des Gedichts ist allerdings komplex; es ist in zehn Strophen mit variierender Anzahl an Versen unterteilt, was auf eine balladenartige Struktur hindeutet. Eine Besonderheit in Schillers Poesie ist der Einsatz von archaischen und oft düsteren sprachlichen Bildern, die auf den Leser einen starken emotionalen Eindruck machen können.

Sprachlich gesehen ist das Gedicht gekennzeichnet durch eine reiche Verwendung von Metaphern und rhetorischen Figuren, die Bildern von Tod und Trauer Form geben. Beispielsweise werden der Mond, die Sterne und die Natur im Allgemeinen verwendet, um eine Atmosphäre der Stille und des Todes zu erzeugen („Mit erstorbnem Scheinen / Steht der Mond auf todenstillen Haynen“).

Insgesamt lässt sich das Gedicht als eine eindrucksvolle Darstellung von Schmerz und Verlust interpretieren, die tiefe menschliche Emotionen evoziert und gleichzeitig die Vergänglichkeit des Lebens gegenüberstellt. Die dramatische Darstellung und der intensive Gebrauch von bildhafter Sprache sind charakteristisch für Schillers poetischen Stil und tragen dazu bei, dass „Eine Leichenfantasie“ als ein Meisterwerk der Weimarer Klassik in Erinnerung bleibt.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Eine Leichenfantasie“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Friedrich Schiller. 1759 wurde Schiller in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. 1780 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Stuttgart. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Schiller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet wird. Die Epoche ordnet sich nach der Literaturepoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Bei den Autoren handelte es sich meist um junge Schriftsteller. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde besonders darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die Nachahmung und Idealisierung von Schriftstellern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Goethe, Schiller und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Zwei sich deutlich unterscheidende Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und endete mit Goethes Tod im Jahr 1832. Wie der Name bereits verrät, liegen der Ausgangspunkt und das literarische Zentrum der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Zum Teil wird auch Jena als ein weiteres Zentrum der Literaturepoche angesehen. Prägend für die Zeit der Weimarer Klassik ist der Begriff Humanität. Toleranz, Menschlichkeit, Selbstbestimmung, Schönheit und Harmonie sind wichtige inhaltliche Merkmale der Weimarer Klassik. Die Weimarer Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. In der Weimarer Klassik wird eine sehr geordnete, einheitliche Sprache verwendet. Allgemeingültige, kurze Aussagen sind häufig in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, setzte man großen Wert auf Stabilität und formale Ordnung. Metrische Ausnahmen befinden sich oftmals an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Die berühmtesten Schriftsteller der Klassik sind Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe. Weitere bekannte Schriftsteller der Klassik sind Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Die beiden letztgenannten arbeiteten aber jeweils für sich. Einen konstruktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Goethe und Schiller.

Das vorliegende Gedicht umfasst 445 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 79 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Friedrich Schiller sind „An den Frühling“, „An die Gesetzgeber“ und „An die Parzen“. Zum Autor des Gedichtes „Eine Leichenfantasie“ haben wir auf abi-pur.de weitere 220 Gedichte veröffentlicht.

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