Eine Frau denkt von Kurt Tucholsky

Mein Mann schläft immer gleich ein … oder er raucht seine Zeitung und liest seine Zigarre
… ich bin so nervös … und während ich an die Decke starre,
denke ich mir mein Teil.
 
Man gibt ihnen so viel, wenigstens zu Beginn. Sie sind es nicht wert.
Sie glauben immer, man müsse hochgeehrt
sein, weil man sie liebt.
Ob es das wohl gibt:
ein Mann, der so nett bleibt, so aufmerksam
wie am ersten Tag, wo er einen nahm …?
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Einer, der Freund ist und Mann und Liebhaber … der uns mal neckt,
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mal bevatert, der immer neu ist, vor dem man Respekt
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hat und der einen liebt … liebt … liebt …
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ob es das gibt?
 
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Manchmal denke ich: ja.
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Dann sehe ich: nein.
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Man fällt immer wieder auf sie herein.
 
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Und ich frage mich bloß, wo diese Kerls ihre Nerven haben.
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Wahrscheinlich … na ja. Die diesbezüglichen Gaben
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sind wohl ungleich verteilt. So richtig verstehen sie uns nie …
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Weil sie faul sind, murmeln sie was von Hysterie.
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Ist aber keine. Und wollen wir Zärtlichkeit,
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dann haben die Herren meist keine Zeit.
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Sie spielen: Symphonie mit dem Paukenschlag.
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Unsere Liebe aber verzittert … das ist nicht ihr Geschmack.
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Hop-hop-hop – wie an der Börse. Sie sind eigentlich nie
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mehr als erotische Statisterie.
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Die Hauptrolle spielen wir. Wir singen allein Duett,
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leer in der Seele, bei sonst gut besuchtem Bett.
 
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Mein Mann schläft immer gleich ein … oder er dreht sich um und raucht eine Zigarre …
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Warum? Weil …
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Und während ich an die Decke starre,
32 
denke ich mir mein Teil.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Eine Frau denkt“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
248
Entstehungsjahr
1929
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Eine Frau denkt“ stammt von Kurt Tucholsky, einem berühmten deutschen Schriftsteller und Journalisten des 20. Jahrhunderts, der besonders durch seine Gesellschaftskritik bekannt wurde. Das gedruckte Werk legt nahe, dass es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden ist, was sich mit Tucholskys Lebensdaten (1890-1935) deckt.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht als bedeutungsvolle Reflexion der inneren Gedanken und Gefühle einer Frau in Bezug auf ihre Ehe und Ehemänner allgemein. Das lyrische Ich ist wohl die Frau aus der Gedichtüberschrift. Die Struktur des Gedichts bildet den fortlaufenden Gedankenfluss der Frau ab, der von Sehnsucht über Frustration bis hin zu Resignation reicht.

Inhaltlich geht es im Gedicht darum, dass die Ehefrau unzufrieden ist mit der Ehe und dem Verhalten ihres Ehemannes. Sie erzählt von ihrer Enttäuschung über den Mangel an Aufmerksamkeit und Respekt, den sie von ihrem Ehemann erfährt. Sie scheint sich nach einer erfüllten und gleichberechtigten Partnerschaft zu sehnen, in der sie sich geliebt und wertgeschätzt fühlt. Allerdings endet sie zumeist enttäuscht, wie in Strophe drei, und resigniert, wie in den abschließenden Versen.

Das Gedicht ist in freien Versen verfasst und hat keine strenge metrische Struktur, was zur Erzeugung des Eindrucks von spontanen, ungefilterten Gedanken beiträgt. Die Sprache ist relativ einfach und direkt und erzeugt ein starkes Gefühl von Authentizität und Emotionalität. Ironische Zwischentöne durchziehen das Gedicht und zeugen von Tucholskys kritischem Blick auf gesellschaftliche Normen und Rollen. Einige Metaphern wie „Symphonie mit dem Paukenschlag“ oder „erotische Statisterie“ drücken bildhaft die Kritik der Protagonistin aus.

Insgesamt ist „Eine Frau denkt“ ein leidenschaftliches und kritisches Gedicht, das die Unzufriedenheit und Frustration einer Frau in einer ungleichwertigen und unbefriedigenden Ehe zum Ausdruck bringt. Es wirft einen kritischen Blick auf gesellschaftliche Normen und männliche Privilegien und stellt die inneren Kämpfe und Sehnsüchte der Frauen in den Vordergrund.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Eine Frau denkt“ des Autors Kurt Tucholsky. Tucholsky wurde im Jahr 1890 in Berlin geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1929. In Berlin ist der Text erschienen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Inhaltlich wurden in der Literatur der Weimarer Republik häufig die Ereignisse des Ersten Weltkriegs verarbeitet. Die geschichtlichen Einflüsse des Ersten Weltkrieges und der späteren Weimarer Republik sind die prägenden Faktoren dieser Epoche. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den ihr zugerechneten Werken ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionslos-nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Erotik, Technik und Weltwirtschaftskrise deutlich erkennbar. Dies kann man als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Dichter orientierten sich an der Realität. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Man schrieb ein Minimum an Sprache, dafür hatte diese ein Maximum an Bedeutung. Es sollten so viele Menschen wie möglich mit den Texten erreicht werden, deshalb wurde eine einfache sowie nüchterne Alltagssprache verwendet. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung von Walter Rathenau das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Autoren, die ins Exil gehen, also ihre Heimat verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oft konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Arbeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das vorliegende Gedicht umfasst 248 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Die Gedichte „An einen garnisondienstfähigen Dichter“, „An ihren Papa“ und „Apage, Josephine, apage–!“ sind weitere Werke des Autors Kurt Tucholsky. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Eine Frau denkt“ weitere 136 Gedichte vor.

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