Eine Frage von Johann Peter Hebel

Sag, weisch denn selber au, du liebe Seel,
was ’s Wienechtchindli isch, und heschs bidenkt?
Denk wohl i sag der’s, und i freu mi druf.
 
O, ’s isch ein Engel usem Paradies,
mit sanften Augen und mit zartem Herz.
Vom reine Himmel abe het en Gott
de Chindlene zum Trost und Sege gschickt.
Er hüetet sie am Bettli Tag und Nacht.
Er deckt sie mittem weiche Fegge zue,
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und weiht er sie mit reinem Othem a,
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wird’s Aeugli hell und ’s Bäckli rund und roth.
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Er treit sie uf de Hände in der G’fohr,
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günnt Blüemli für sie uf der grüene Flur,
 
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und stoht im Schnee und Rege d’Wienecht do,
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se henkt er still im Wienechtchindli-Baum
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e schöne Früehlig in der Stuben uf,
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und lächlet still, und het si süeßi Freud,
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und Muetterliebi heißt si schöne Name.
 
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Io, liebi Seel, und gang vo Hus zue Hus,
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sag Guete Tag, und B’hüetich Gott, und lueg!
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Der Wienechtchindli-Baum verrothet bald,
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wie alli Müetter sin im ganze Dorf.
 
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Do hangt e Baum, nei lueg me doch und lueg!
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In alle Näste nüt als Zuckerbrod.
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’s isch nit viel nutz. Die het e närschi Freud
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an ihrem Büebli, will em Alles süeß
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und liebli mache, thuet em, was es will.
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Gib Acht, gib Acht, es chunnt e mol e Zit,
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se schlacht sie d’Händ no z’semmen überm Chopf,
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und seit: „Du gottlos Chind, isch das mi Dank?“
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Io weger, Müetterli, das isch di Dank!
 
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Iez do siehts anderst dri ins Nochbers Hus.
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Scharmanti bruni Bire, welschi Nuß
 
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und menge rothen Oepfel ab der Hurt,
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e Gufebüchsli, doch wills Gott der Her
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ke Gufe drin. Vom zarte Bese-Ris
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e goldig Rüethli, schlank und nagelneu!
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Lueg, so ne Muetter het ihr Chindli lieb!
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Lueg, so ne Muetter ziehts verständig uf,
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und wird mi Bürstli meisterlos, und meint,
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es seig der Her im Hus, se hebt si b’herzt
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der Finger uf, und förcht ihr Büebli nit,
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und seit: „Weisch nit, was hinterm Spiegel steckt?“
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Und ’s Büebli folgt, und wird a brave Chnab.
 
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Iez göhn mer wieder witers um e Hus.
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Zwor Chinder gneug, doch wo me luegt und luegt,
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schwankt wit und breit ke Wienechtchindli-Baum.
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Chumm, weidli chumm, do blibe mer nit lang!
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O Frau, wer het di Muetterherz so g’chüelt?
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Verbarmt’s di nit, und goht’s der nit dur d’Seel,
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wie dini Chindli, wie di Fleisch und Bluet
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verwildern ohni Pfleg und ohni Zucht,
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und hungrig bi den andre Chinde stöhn
 
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mit ihre breite Rufe, schüch und fremd?
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Und Wi und Caffi schmeckt de doch so guet!
 
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Doch lueg im vierte Hus, das Gott erbarm,
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was hangt am grüene Wienechtchindli-Baum?
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Viel stachlig Laub, und näume zwische drinn
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ne schrumpfig Oepfeli, ne dürri Nuß!
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Sie möcht, und het’s nit, nimmt ihr Chind uf d’Schoß,
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und wärmt’s am Buese, luegets a und briegt;
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der Engel stüürt im Chindli Thränen i.
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Sel isch nit g’fehlt, ’s isch mehr as Marzipan
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und Zuckererbsli. Gott im Himmel siehts,
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und het us mengem arme Büebli doch
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e brave Ma und Vogt und Richter gmacht,
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und usem Töchterli ne bravi Frau,
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wenns numme nit an Zucht und Warnig fehlt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.9 KB)

Details zum Gedicht „Eine Frage“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
68
Anzahl Wörter
532
Entstehungsjahr
nach 1776
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das präsentierte Gedicht ist „Eine Frage“ von Johann Peter Hebel, einem deutschen Dichter, der von 1760 bis 1826 lebte. Arbeitete während der Aufklärung und in der Zeit der Romantik, seine Dichtungen oft eine Mischung von beobachtenden menschlichen Einblicken und sinnvollen Auseinandersetzungen mit Leben und Tod enthalten.

Die erste Betrachtung dieses Gedichtes ergibt einen klaren Dialog zwischen dem lyrischen Ich und einer weiteren Person, die angesprochen wird und den Eindruck erweckt, dass Weihnachten naht. Letzteres wird durch die wiederholten Erwähnungen des „Wienechtchindli-Baums“ verdeutlicht, die offenbar als Metapher für etwas Größeres dienen.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um verschiedene Arten von Mutterschaft, Liebe und Erziehung, wie sie in verschiedenen Haushalten praktiziert werden. Das lyrische Ich stellt Fragen und reflektiert die Beobachtungen von vier verschiedenen „Häusern“, die jeweils eine andere Art von Mutter-Kind-Beziehung darstellen. In den auffälligsten Beispielen sind einmal eine „Muetterli“, die ihren Sohn verwöhnt, und eine „Chnab“, die von ihrer Mutter streng erzogen wird. Es gibt auch eine anscheinend kinderlose und harte Mutter und eine Mutter, die obwohl arm, ihrem Kind grenzenlose Liebe schenkt.

Die Form des Gedichts ist in mehrere Strophen gegliedert und verwendet geordnete Verse. Die Metrik und der Rhythmus sind eher fließend und nicht streng strukturiert, was dem Gedicht eine erzählende Qualität verleiht.

Hebels Sprache ist sehr despektierlich und regional geprägt, was man in seinen Mundartformen, die dem Südwesten Deutschlands und der Schweizer Region zugeschrieben werden können, beobachten kann. Dies fügt dem Gedicht eine zusätzliche Ebene der Vertrautheit und Intimität hinzu.

Insgesamt liefert „Eine Frage“ eine tiefe Reflexion über die Erziehung und die Rolle, die Liebe und Zuneigung in verschiedenen Formen in der Kindheit spielen. Es fängt die Komplexität der Mutter-Kind-Beziehung ein und betont die Notwendigkeit und den Wert der Erziehung und Grenzsetzung.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Eine Frage“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Peter Hebel. Der Autor Johann Peter Hebel wurde 1760 in Basel geboren. Im Zeitraum zwischen 1776 und 1826 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Karlsruhe. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 532 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 68 Versen. Weitere Werke des Dichters Johann Peter Hebel sind „Auf den Tod eines Zechers“, „Auf einem Grabe“ und „Das Habermuß“. Zum Autor des Gedichtes „Eine Frage“ haben wir auf abi-pur.de weitere 60 Gedichte veröffentlicht.

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