Ein Strolch sieht spielende Kinder von Joachim Ringelnatz

Die kleinen Kinder sind so groß.
Sie umarmen sonnigen Sand.
Mir geben sie einfach einen Stoß
Und greifen nach einer Frauenhand.
Sie jauchzen ohne Scham und Verstand
Nackt in eines Fräuleins Schoß.
 
Soll ich sie nach dem Wege fragen,
Weil ich mich nicht an Erwachsne getrau.
Sie wissen mir doch nichts zu sagen,
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Zeigen mir nur ein fremdes Geschau,
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Wie – Seehunde unter Menschen verschlagen.
 
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Die Kinder sind so groß. Ich bin klein.
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Sie sind so sauber; ich bin ein Schwein.
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Ich suche Arbeit und Geld und Bett.
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Sie wollen nur ins Freie.
 
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Wenn ich Kinder – oder eine Mutter hätt’ –
 
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Wie sie es schreien, ihre Ringelreihe!
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Wer möchte ihnen das Spiel verderben.
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Aber doch: Jetzt – so – müßten sie sterben.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Ein Strolch sieht spielende Kinder“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
19
Anzahl Wörter
118
Entstehungsjahr
1933
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht stammt von dem deutschen Schriftsteller und Kabarettist Joachim Ringelnatz, der von 1883 bis 1934 lebte. Dies lässt vermuten, dass das Gedicht aus dem Zeitraum der Weimarer Republik stammt, einer sehr turbulenten Phase der deutschen Geschichte, die von politischen und sozialen Umbrüchen geprägt war.

Das Gedicht schildert die Beobachtungen eines „Strolchs“, der Kinder beim Spielen zuschaut und seine subjektiven Empfindungen dazu äußert. Der Strolch fühlt sich von den Kindern und ihrer unbeschwerten Lebensfreude, die stark kontrastiert mit seiner eigenen situation, sowohl angezogen als auch abgestoßen. Er bezeichnet die Kinder als „groß“ und sich selbst als „klein“, womit er die gesellschaftliche Stellung und seine eigene Marginalität zum Ausdruck bringt.

Das lyrische Ich, der Strolch, fühlt sich einsam, ausgegrenzt und unverstanden von der Gesellschaft. Er hat keine Arbeit, kein Geld, kein Bett und fühlt sich als Außenseiter. Indem er die Kinder als „groß“ und sich selbst als „klein“ bezeichnet, drückt er seine Minderwertigkeitsgefühle und seine Marginalisierung aus.

Formal handelt es sich um ein Gedicht in freien Versen. Die Länge der Strophen variiert zwischen einer und sechs Zeilen. Dies unterstreicht die innere Zerrissenheit des lyrischen Ichs und seine Unfähigkeit, sich in gesellschaftliche Strukturen einzufügen. Die Sprache des Gedichts ist schlicht und direkt, ohne viele Metaphern oder bildhafte Ausdrücke.

Die abschließende Bemerkung, dass die Kinder „jetzt – so – müßten sie sterben“, ist schockierend und unterstreicht das Ausmaß der Verzweiflung und Resignation des lyrischen Ichs. Diese Zeile kann als Rebellion gegen die Gesellschaft gesehen werden, die ihn marginalisiert und ausgrenzt und seine Situation nicht wahrgenommen wird, während die Kinder sorglos spielen und Spaß haben.

Insgesamt handelt es sich bei dem Gedicht um ein bewegendes Porträt einer Figur, die sich gesellschaftlich ausgegrenzt fühlt und die sozialen Ungleichheiten kritisiert. Der Gegensatz zwischen der unbeschwerten Kindheit und dem harten Leben des Strolchs verstärkt die Stimmung des Gedichts und macht es zu einer eindringlichen sozialen Kritik.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Ein Strolch sieht spielende Kinder“ ist Joachim Ringelnatz. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1933. Erschienen ist der Text in Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Ringelnatz ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 118 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 19 Versen. Joachim Ringelnatz ist auch der Autor für Gedichte wie „...als eine Reihe von guten Tagen“, „7. August 1929“ und „Abendgebet einer erkälteten Negerin“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Ein Strolch sieht spielende Kinder“ weitere 560 Gedichte vor.

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