Ehekrach von Kurt Tucholsky

„Ja –!“
„Nein –!“
„Wer ist schuld?
Du!“
„Himmeldonnerwetter, laß mich in Ruh!“
– „Du hast Tante Klara vorgeschlagen!
Du läßt dir von keinem Menschen was sagen!
Du hast immer solche Rosinen!
Du willst bloß, ich soll verdienen, verdienen –
10 
Du hörst nie. Ich red dir gut zu…
11 
Wer ist schuld –?
12 
Du.“
13 
„Nein.“
14 
„Ja.“
 
15 
– „Wer hat den Kindern das Rodeln verboten?
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Wer schimpft den ganzen Tag nach Noten?
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Wessen Hemden muß ich stopfen und plätten?
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Wem passen wieder nicht die Betten?
19 
Wen muß man vorn und hinten bedienen?
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Wer dreht sich um nach allen Blondinen?
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Du –!“
22 
„Nein.“
23 
„Ja.“
24 
„Wem ich das erzähle …!
25 
Ob mir das einer glaubt –!“
26 
– „Und überhaupt –!“
27 
„Und überhaupt –!“
28 
„Und überhaupt –!“
 
29 
*
 
30 
Ihr meint kein Wort von dem, was ihr sagt:
31 
Ihr wißt nicht, was euch beide plagt.
32 
Was ist der Nagel jeder Ehe?
33 
Zu langes Zusammensein und zu große Nähe.
 
34 
Menschen sind einsam. Suchen den andern.
35 
Prallen zurück, wollen weiter wandern…
36 
Bleiben schließlich… Diese Resignation:
37 
Das ist die Ehe. Wird sie euch monoton?
38 
Zankt euch nicht und versöhnt euch nicht;
39 
Zeigt euch ein Kameradschaftsgesicht
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und macht das Gesicht für den bösen Streit
41 
lieber, wenn ihr alleine seid.
 
42 
Gebt Ruhe, ihr Guten! Haltet still.
43 
Jahre binden, auch wenn man nicht will.
44 
Das ist schwer: ein Leben zu zwein.
45 
Nur eins ist noch schwerer: einsam sein.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Ehekrach“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
45
Anzahl Wörter
212
Entstehungsjahr
1929
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Ehekrach“ stammt von dem Autor Kurt Tucholsky, der von 1890 bis 1935 lebte, und kann damit in die Epoche der Literaturgeschichte um die Jahrhundertwende und in die Zeit der Weimarer Republik eingeordnet werden.

Auf den ersten Blick handelt das Gedicht von einem Streit zwischen Ehepartnern. Die zahlreichen Vorwürfe, die scheinbar belanglose, jedoch alltägliche Aspekte betreffen, kreieren eine hitzige, emotionale und konfliktgeladene Atmosphäre. Beide Parteien schieben sich gegenseitig die Schuld zu, anstatt eine friedliche und konstruktive Lösung für ihre Probleme zu finden.

Inhaltlich greift Tucholsky unterschiedliche Facetten der ehelichen Unzufriedenheit auf. Beide Parteien fühlen sich missverstanden und brüsten vor Vorwürfen, die ihr Gegenüber entweder zur Verantwortung ziehen oder gar beleidigen sollen. Sie beschweren sich über mangelnde Freiheit, zu viel Verantwortung und mangelndes Verständnis, sogar über verfügbare Mittel, um ihre Meinung zu vertreten.

Die Form des Gedichts ist durch kurze, direkte Sätze und trockene Aussagen gekennzeichnet. Das spiegelt die Emotionen und das hitzige Temperament der lyrischen Ichs wider. An vielen Stellen lässt Tucholsky seine Figuren abgehackte Phrasen benutzen und häufige Wiederholungen einsetzen. Dies kann als Zeichen von Wut, Frustration und Wiederholung der immer gleichen Konflikte interpretiert werden.

Die Sprache des Gedichts ist einfach und konkret, ohne metaphorische Verzierungen. Hier und da bricht Tucholsky die poetische Form auf und fügt Alltagssprache, wie in der zweiten Strophe oder Ausdrücke des Ausrufs hinzu, was die Intention des Realismus unterstreicht. Dennoch bleibt der Sprachstil humorvoll und ironisch, wie es für Tucholsky typisch ist.

In den letzten zwei Strophen zieht Tucholsky eine moralischen Schlussfolgerung aus dem vorher beschriebenen Ehestreit. Er gibt den Ratschlag, Streitigkeiten lieber unter vier Augen auszutragen und nach außen hin den Schein der Harmonie zu wahren. Das Abschlussbild führt zu einer Dialektik von Einsamkeit und Gemeinschaft: Beides ist schwierig, doch das alleine sein noch schwerer als das Zusammenleben zu zweit. Hier offenbart sich der tiefe soziopsychologische Einblick Tucholskys in das Wesen menschlicher Beziehungen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Ehekrach“ ist Kurt Tucholsky. Tucholsky wurde im Jahr 1890 in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1929 entstanden. In Berlin ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Republik hatten erheblichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Autoren dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden im Jahr 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Autoren ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Jahr 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. In Folge dessen flohen viele Schriftsteller aus Deutschland. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen den Nationalsozialismus sind typisch für diese Literaturepoche. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 45 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 212 Worte. Weitere Werke des Dichters Kurt Tucholsky sind „An das Publikum“, „An die Meinige“ und „An einen garnisondienstfähigen Dichter“. Zum Autor des Gedichtes „Ehekrach“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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