Echo von Carl Streckfuß

Stolz in seiner Schönheit Blüthe,
Wild in seiner Jugend Macht,
Sehnt Narciß sich nicht nach anderm Glücke,
Fragt nicht, ob in holdem Blicke
Ihm der Liebe Zauber lacht.
Doch für seinen Reiz entglühte
Längst die zarteste der Schönen,
Liebevoll, mit heißem Sehnen
Denkt sie sein bey Tag und Nacht.
 
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Und sie folget ihm von ferne
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In die Thäler, in den Wald,
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Folgt ihm leise nach mit bangem Schweigen,
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Wagt es nicht, sich ihm zu zeigen,
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Birgt ihm schüchtern die Gestalt.
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Ach! wie sagte sie so gerne,
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Was in ihrem Busen lebet,
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Doch wenn Sehnsucht vorwärts strebet,
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Fesselt sie der Furcht Gewalt.
 
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Und so lauscht sie seiner Rede,
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In der Büsche Nacht versteckt,
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Lauschet sorglich jeglicher Bewegung,
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Oft von wunderbarer Regung
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Tief im Innersten erschreckt.
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Ihr ist selbst der Frühling öde,
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Wo sie nicht den Holden siehet,
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Doch ein Zauberland erblühet,
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Wo sie zitternd ihn entdeckt.
 
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Einst in der Gefährten Mitte
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Sieht sie den Geliebten stehn.
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Liebe treibt sie, ihm ans Herz zu sinken,
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Und sie sieht den Jüngling winken,
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Höret seine Stimme wehn. —
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Aus dem Busch mit raschem Schritte
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Eilt sie, ihm ans Herz zu fliegen,
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Sehnend sich an ihn zu schmiegen,
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Glaubt vor Wonne zu vergehn.
 
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Doch nicht ihr hat er gewinket,
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Und er flieht erstaunt zurück.
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Ach! von ihrer Lust, von ihren Schmerzen,
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Fühlt er nichts in seinem Herzen,
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Kalt und düster ist sein Blick.
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Und in Reu und Schaam versinket
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Die Betrogne, sie entfliehet,
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Doch im Innersten durchglühet
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Sie das süß erträumte Glück.
 
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In der Berge tiefste Klüfte,
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Zu den schroffsten Felsen trägt
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Sie der Liebe Harm, das treue Sehnen —
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Einsam lauscht sie seinen Tönen,
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Und wenn fern ein Laut sich regt,
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Läßt ihn leise durch die Lüfte
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Die Betrogne wiederschallen;
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Hört sie dann den Ton verhallen,
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Wird ihr Busen neu bewegt.
 
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Und so schwand ihr zartes Leben,
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Und ihr treues Auge brach;
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Doch ihr Sehnen blieb den düstern Klüften,
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Ihre Stimme noch den Lüften,
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Wird bey jedem Rufe wach.
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Und wenn Töne sich erheben,
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Wähnt sie, daß der Liebling rede,
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Und so lispelt aus der Oede
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Sie getäuscht die Worte nach.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.8 KB)

Details zum Gedicht „Echo“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
63
Anzahl Wörter
345
Entstehungsjahr
1804
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Echo“ wurde von Carl Streckfuß geschrieben, der von 1778 bis 1844 lebte. Damit fällt es in die Epoche der Romantik, die typischerweise durch eine starke Betonung von Gefühlen und Natur, sowie einer Hinwendung zum Mystischen und Übernatürlichen gekennzeichnet ist.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht eine Geschichte erzählt, die in gewisser Weise tragisch ist, und reich an emotionalen und leidenschaftlichen Ausdrücken ist. Der lyrische Ausdruck und die gefühlvolle Sprache geben dem Gedicht eine intensive und romantische Prägung.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um ein Liebesdrama. Das lyrische Ich erzählt die Geschichte von Narziß, der sich in seiner Jugend und Schönheit keinem anderen Glück außer sich selbst zuwendet und die Liebe der Echo, die schon längst für ihn entbrannt ist, nicht erkennt. Echo verfolgt ihn aus der Ferne, verbirgt ihre Gefühle aus Angst, gesteht ihre Liebe nicht.

In der dritten Strophe beginnt Echo, Narziss' Bewegungen und Reden intensiv zu lauschen, sie ist tief bewegt und erschrocken. In der vierten Strophe fasst Echo den Mut, sich Narziß zu offenbaren, doch ihre Liebe wird nicht erwidert und stößt auf Verwirrung und Ablehnung. Echo flieht erneut in ihre verträumte Welt, wo sie sich noch immer glücklich mit Narziß sieht.

In der sechsten Strophe zieht sich Echo in die Berge zurück, um dort ihrer unerwiderten Liebe nachzuhängen. Sie wird zum Echo und antwortet mit ihrer eigenen Stimme jedem Laut, den sie hört. In der letzten Strophe stirbt Echo langsam, doch ihre Sehnsucht und ihre Stimme bleiben in den Bergen erhalten. Sie antwortet Narziß mit ihren eigenen Worten und hält so ihre Liebe zu ihm aufrecht.

Formal ist das Gedicht in sieben Strophen mit jeweils neun Zeilen aufgeteilt. Die Sprache ist gehoben und drückt mit starken Emotionen und romantischen Bildern die tiefe Sehnsucht und Leidenschaft, sowie das Leid aus.

Insgesamt zeigt das Gedicht ein typisches Motiv der Romantik: Die unerwiderte Liebe, die in eine schöne, aber schmerzliche und letztlich tragische Gefühlswelt führt. Streckfuß drückt dies durch seine bildreiche, emotionale Sprache und den strukturierten Aufbau des Gedichts beeindruckend aus.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Echo“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Carl Streckfuß. 1778 wurde Streckfuß in Gera geboren. Im Jahr 1804 ist das Gedicht entstanden. In Wien ist der Text erschienen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Klassik oder Romantik zuordnen. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 345 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 63 Versen. Die Gedichte „An Nadine“, „An die Kronprinzessin von Preußen“ und „Auf der Reise“ sind weitere Werke des Autors Carl Streckfuß. Zum Autor des Gedichtes „Echo“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 50 Gedichte vor.

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