Die Schlittschuhe von Conrad Ferdinand Meyer

»Hör, Ohm! In deiner Trödelkammer hangt
Ein Schlittschuhpaar, danach mein Herz verlangt!
Von London hast du einst es heimgebracht,
Zwar ist es nicht nach neuster Art gemacht,
Doch damasziert, verteufelt elegant!
Dir rostet ungebraucht es an der Wand,
Du gibst es mir!« Hier, Junge, hast du Geld,
Kauf dir ein schmuckes Paar, wie dir's gefällt!
»Ach was! Die damaszierten will ich, deine!
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Du läufst ja nimmer auf dem Eis, ich meine?«
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Der liebe Quälgeist läßt mir keine Ruh,
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Er zieht mich der verschollnen Stube zu;
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Da lehnen Masken, Klingen kreuz und quer
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An Bayles staubbedecktem Diktionär,
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Und seine Beute schon erblickt der Knabe
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In dunkelm Winkel hinter einer Truhe:
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»Da sind sie!« Ich betrachte meine Habe,
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Die Jugendschwingen, die gestählten Schuhe.
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Mir um die Schläfen zieht ein leiser Traum...
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»Du gibst sie mir!«... In ihrem blonden Haar,
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Dem aufgewehten, wie sie lieblich war,
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Der Wangen edel Blaß gerötet kaum!...
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In Nebel eingeschleiert lag die Stadt,
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Der See, ein Boden spiegelhell und glatt,
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Drauf in die Wette flogen, Gleis an Gleis,
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Die Läufer; Wimpel flaggten auf dem Eis...
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Sie schwebte still, zuerst umkreist von vielen
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Geflügelten wettlaufenden Gespielen
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Dort stürmte wild die purpurne Bacchantin,
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Hier maß den Lauf die peinliche Pedantin
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Sie aber wiegte sich mit schlanker Kraft,
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Und leichten Fußes, luftig, elfenhaft
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Glitt sie dahin, das Eis berührend kaum,
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Bis sich die Bahn in einem weiten Raum
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Verlor und dann in schmalre Bahnen teilte.
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Da lockt' es ihren Fuß in Einsamkeiten,
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In blaue Dämmerung hinauszugleiten,
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Ins Märchenreich; sie zagte nicht und eilte
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Und sah, daß ich an ihrer Seite fuhr,
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Nahm meine Hand und eilte rascher nur.
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Bald hinter uns verklang der Menge Schall,
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Die Wintersonne sank, ein Feuerball;
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Doch nicht zu hemmen war das leichte Schweben,
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Der sel'ge Reigen, die beschwingte Flucht
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Und warme Kreise zog das rasche Leben
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Auf harterstarrter, geisterhafter Bucht.
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An uns vorüber schoß ein Fackellauf,
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Ein glüh Phantom, den grauen See hinauf...
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In stiller Luft ein ungewisses Klingen,
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Wie Glockenlaut, des Eises surrend Singen...
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Ein dumpf Getos, das aus der Tiefe droht
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Sie lauscht, erschrickt, ihr graut, das ist der Tod!
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Jäh wendet sie den Lauf, sie strebt zurück,
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Ein scheuer Vogel, durch das Abenddunkel,
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Dem Lärm entgegen und dem Lichtgefunkel,
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Sie löst gemach die Hand... o Märchenglück!
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Sie wendet sich von mir und sucht die Stadt,
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Dem Kinde gleich, das sich verlaufen hat
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»Ei, Ohm, du träumst? Nicht wahr, du gibst sie mir,
60 
Bevor das Eis geschmolzen?«... Junge, hier.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.3 KB)

Details zum Gedicht „Die Schlittschuhe“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
60
Anzahl Wörter
405
Entstehungsjahr
1825 - 1898
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Die Schlittschuhe“ ist Conrad Ferdinand Meyer. Meyer wurde im Jahr 1825 in Zürich geboren. Im Zeitraum zwischen 1841 und 1898 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Bei dem Schriftsteller Meyer handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 405 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 60 Versen. Weitere Werke des Dichters Conrad Ferdinand Meyer sind „Unruhige Nacht“, „Nicola Pesces“ und „Möwenflug“. Zum Autor des Gedichtes „Die Schlittschuhe“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 80 Gedichte vor.

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