Drachenfels von Louise Otto-Peters

Wo hoch empor die sieben Kuppen ragen –
Die das Gebirg auf festem Scheitel trug,
Gleich Kronen, die sie auf den Häuptern tragen,
Und die der Sturm der Zeit herunterschlug –
Ruinen stehn von Schlössern und Kapellen,
Die sich bespiegeln in des Rheines Wellen,
Dem Schiffer kündend von vergangner Zeit,
Entschwundner und versunkner Herrlichkeit:
 
Da hebt der Drachenfels sich majestätisch,
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Der vorderste, dicht an des Rheines Flut,
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Es ist als spräch’ er warnend und prophetisch
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Zu einer Welt die scheinbar friedlich ruht:
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Auch Du hast noch zu kämpfen mit den Drachen,
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Die an der Zukunft Paradies bewachen
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Den Eingang in der Liebe schönes Reich,
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Wo Alle Brüder sind in Liebe gleich. –
 
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Von einem Drachen kündet hier die Sage,
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Der Menschenopfer heischte lange Zeit –
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Davon kein Fluch, kein Schwert und keine Klage,
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Die Stämme, die hier wohnten, je befreit,
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Verbrecher, die an ihnen sich vergangen,
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Und Feinde, die sie in der Schlacht gefangen
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Die stieß man zu des Drachen Höhle fort,
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Er würgte sie im schauerlichen Mord. –
 
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Einst aus dem Krieg mit einem fremden Stamme
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Fiel eine Jungfrau in der Heiden Hand,
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Von deren Schöne eine Liebesflamme
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In zweier Helden Brust zugleich entbrannt.
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Zwei Häuptlinge sich um die Beute stritten –
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Da lautete der Richterspruch des dritten:
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Daß fürder nicht bestehe solcher Streit,
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Die Jungfrau sei dem Drachentod geweiht,
 
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Und schön geschmückt, im weißen Opferkleide
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Bräutliche Blumen in dem goldnen Haar,
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Am Hals ein reiches goldenes Geschmeide,
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Das schon daheim dort prangte immerdar,
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Und das man ihr zum Opfertod gelassen –
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So schritt sie hin – es malte kein Erblassen.
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Kein bleicher Schrecken ihre Wangen weiß,
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Gefaßt und mutig stand sie in dem Kreis.
 
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Und da sie nahe zu der Höhle kamen,
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Und schon der Drache ihr entgegen sprüht’,
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Da sprach sie fromm und leis ein heilig Amen
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Und sang – gleich wie im höhern Chor – ein Lied.
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Aus ihrer Brust zog sie am Goldgeschmeide
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Hervor ein Kreuz – ihr höchstes Gut im Leide!
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Und hielt es – als geweihten Talisman
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Dem Drachen hin – er starrt es wütend an –
 
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Er starrt es an – und plötzlich wie vernichtet
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Erbebt in sich sein grimmer Panzerleib,
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Den Rachen schließt er, kehrt sich um und flüchtet,
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Und flüchtet vor dem unbewehrten Weib,
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Und stürzt sich jähling in des Rheines Wellen
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Man hört die Schuppen das Gestein zerschellen –
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Vernichtet ist mit eins die Schlangenbrut –
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Der Himmel flammt in roter Opferglut.
 
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Da scheint verklärt zum goldnen Strahlenkranze
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Die Blumenkrone in der Jungfrau Haar,
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Ihr Antlitz leuchtet auf im Himmelsglanze
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Da sie bezwang die drohende Gefahr.
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Und alle Heiden die das Wunder schauen,
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Ergreift alsbald ein niegekanntes Grauen,
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Anbetend sinken vor dem Kreuz sie hin
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Und vor der Jungfrau gottentflammtem Sinn.
 
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Durch sie zum Glauben reiner Menschenliebe
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Durch sie zum milden Christengott bekehrt! –
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O daß die Sage doch lebendig bliebe
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In unsrer Zeit, die noch vom Wahn bethört!
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O läg noch heut in einer Jungfrau Händen
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Die Macht die Menschenopfer zu beenden;
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Wie schön sich einen solchem Tod zu weihn –
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O Gott der Lieb’ dürft ich das Opfer sein!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.1 KB)

Details zum Gedicht „Drachenfels“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
72
Anzahl Wörter
493
Entstehungsjahr
1850-1860
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Drachenfels“ stammt von der Autorin Louise Otto-Peters, die von 1819 bis 1895 lebte. Sie ist eine bedeutende Persönlichkeit der deutschen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert und sie war außerdem eine produktive Schriftstellerin und Journalistin. Daher kann man davon ausgehen, dass das Gedicht in der Zeit des 19. Jahrhunderts, in dem die Frauenbewegung aufkam, entstanden ist.

Das Gedicht erzählt eine Geschichte, die sich um den Berg Drachenfels, einen mythologischen Drachen, eine wehrlose, aber tapfere Jungfrau und eine Botschaft der Liebe und des Friedens dreht. In der ersten Strophe wird das Setting des Gedichts dargestellt und eine Atmosphäre von Vergänglichkeit und vergangener Größe geschaffen. Es wird eine Landschaft dargestellt mit sieben Bergkuppen und Ruinen, die von vergangener Größe erzählen. In der zweiten Strophe richtet sich das lyrische Ich an den Leser und stellt den Drachenfels als mahnendes und prophetisches Symbol dar.

Das lyrische Ich erzählt eine alte Sage über den Drachenfels, wonach der Berg von einem mordenden Drachen bewohnt wurde, dem Menschen als Opfer dargebracht wurden. Ein Mädchen, das in der Hand zweier Helden gefallen ist, wird zum Drachentod bestimmt. Dieses Mädchen hat jedoch Mut und eine innere Stärke, die sie dazu bringt, ihr Schicksal zu akzeptieren.

In der sechsten Strophe greift das Mädchen zum christlichen Symbol des Kreuzes, das sie dabei hat, und dieser Anblick erschreckt den Drachen so sehr, dass er flieht und stirbt. Dadurch erfährt das Mädchen göttliche Verklärung und die Menschen um sie herum werden zum Christentum bekehrt. Das Gedicht endet mit der Sehnsucht des lyrischen Ichs, das gleiche tun zu können und ebenfalls ein Opfer für die Liebe zu sein, was eine Parallele zur urchristlichen Geschichte von Jesus Christus ziehen könnte.

In Bezug auf die Form des Gedichts hat jede Strophe genau acht Verse. Das Gedicht ist in einer erzählenden Form verfasst und verwendet viele Bilder und Symbolik. Die Sprache ist poetisch und atmet die Atmosphäre der Romantik. Es wird reichlich Gebrauch gemacht von Metaphern und Vergleichen, insbesondere in den Beschreibungen der Natur und der Menschenfiguren.

Die Aussage der Autorin liegt in der Botschaft der Liebe und des Friedens, die das Gedicht vermittelt. Es stellt ein Ideal der weiblichen Stärke und des Muts dar und enthält eine implizite Kritik an der Gewalt und dem Machthunger, der in der Geschichte der Menschheit immer wieder für Leid und Zerstörung gesorgt hat. Das Gedicht könnte als ein Plädoyer für Frieden, Liebe und Menschlichkeit gesehen werden, das in einem historischen Kontext eingebettet ist, der sowohl die Rolle der Frauen als auch das religiöse Erbe unserer Zivilisation reflektiert. Damit spiegelt es die Werte und Ideale der Autorin und ihrer Zeit wider.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Drachenfels“ der Autorin Louise Otto-Peters. Otto-Peters wurde im Jahr 1819 in Meißen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1860. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht der Epoche Realismus zuordnen. Die Richtigkeit der Epoche sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 493 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 72 Versen. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Louise Otto-Peters sind „An Alfred Meißner“, „An August Peters“ und „An Byron“. Zur Autorin des Gedichtes „Drachenfels“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 106 Gedichte vor.

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