Die verschiedene Weise der Moral von Johann Gottfried Herder

Auf offnem Markte mit Gebieterton
Erschien in Herrscherpracht der Gott Imperativus.
„Ich bin das Ich, der ächten Weisheit Sohn,
Ein Vocativ der Pflicht, des Rechts Nominativus.
Wer von der Würde wich, erzittre meinem Thron;
Ich bin der kleinsten Schuld Fiscal-Accusativus,
Und hinter mir dort steht zu Büttelstraf’ und Lohn
Ein dunkler Schlußstein noch, der Gott Infinitivus. – –
Doch wer bist du“?
 
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„Ich bin der armen Menschheit Sohn,
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Ein Flehender, der blöde Optativus,
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Doch selbst mein Wunsch, mein Streben wird mir Lohn:
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Denn hier ist mein Genoß, der helfende Dativus,
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Ein guter Mann“. –
 
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„Ihm werd’ ein Bettlerlohn.
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Und rufet lauter aus mit Pauken und Trommeten:
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Der Menschheit Würde wird befohlen, nicht erboten“.
 
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Vorüber zog der Lärm; die sanfte Menschenliebe
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Mit ihren Wünschen, ihrer Hoffnung blieb,
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Und feuert’ an des Herzens zarte Triebe:
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„Ihr Menschen, liebet euch und seyd einander lieb.
 
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Verzeihet gern: wir müssen Alle fehlen.
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Und hofft das Beßre stets: denn Hoffnung stärkt die Seelen.
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Erwartet wenig, um so reichlicher zu geben;
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Aufs Werthseyn rechnet nicht; der Menschen ganzes Leben
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Statt Haben und Besitz ist Streben“. –
 
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Entflohen war der Lärm; sein Trommeln war vorüber,
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Die sanfte Stimme, zart und schwach,
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Sie tönete in Aller Herzen nach;
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Mit Hoffnungen gewann der Mensch das Leben lieber.
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Und jeder Wunsch, so leise man ihn sprach,
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Ging strebend auf die fernste Nachwelt über.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Die verschiedene Weise der Moral“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
218
Entstehungsjahr
1797
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem deutschen Dichter und Philosophen, der von 1744 bis 1803 lebte. Er gehörte zur Weimarer Klassik und war eine Schlüsselfigur der deutschen Aufklärung.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie ein Dialog oder eine Diskussion zwischen verschiedenen Instanzen. Durch die Verwendung von seltenen grammatischen Begriffen wie Imperativus, Vocativ, Nominativus, Fiscal-Accusativus und Infinitivus in der ersten Strophe und Optativus, Dativus in der zweiten Strophe, könnte man sagen, dass Herder eine Art Diskussion zwischen verschiedenen Aspekten des menschlichen Charakters und Handelns einfängt.

Der Inhalt des Gedichts kann als Darstellung von zwei Aspekten der menschlichen Moral angesehen werden. Die erste Sichtweise basiert auf dem Autoritätsgedanken und der Notwendigkeit, Regeln und Gesetzen zu folgen. Diese wird durch die Figur des „Gott Imperativus“ repräsentiert. Die zweite Sichtweise vertritt einen weniger strengen und legislativen Ansatz. Sie wird dargestellt durch das „Ich“, dass sich selbst als „armen Menschheit Sohn“ bezeichnet. Es vertritt die Ansicht, dass echte Moral und Würde aus dem inneren Verlangen kommen und nicht von außen auferlegt werden können.

Herders Sprache ist komplex und geschickt, er verwendet eine ungewöhnliche Kombination von grammatikalischen Begriffen, um seine Ideen zu vermitteln. Die Form des Gedichts ist frei, mit Strophen unterschiedlicher Länge, und es gibt keinen erkennbaren Reimschema.

Insgesamt scheint Herder in seinem Gedicht die menschliche Moral aus zwei Perspektiven zu betrachten: der einen, die auf Regeln und Autorität basiert und der anderen, die auf innerer Überzeugung und Liebe basiert. Letztendlich ist es an weil jedes Lyrische Ich symbolisiert einen Standpunkt vertreten, wie es die individuelle Freiheit und die wohlwollende Menschlichkeit siegen läßt. Es zeigt, dass Liebe und Verständnis die treibenden Kräfte sein sollten, nicht Angst und Zwang.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die verschiedene Weise der Moral“ ist Johann Gottfried Herder. Der Autor Johann Gottfried Herder wurde 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1797 zurück. Erschienen ist der Text in Tübingen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet wird. Die Literaturepoche ordnet sich nach der Epoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen das gesellschaftliche System und die Prinzipien der Aufklärung wendeten. Die Vertreter waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, meistens nicht älter als 30 Jahre. In den Dichtungen wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Klassik ist Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar). Seine Italienreise im Jahr 1786 wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Johann Wolfgang von Goethe prägte die Klassik ganz wesentlich. Sein Tod im Jahr 1832 kennzeichnet gleichzeitig das Ende dieser Epoche. Wie der Name bereits verrät, liegen der Ausgangspunkt und das literarische Zentrum der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Teilweise wird auch Jena als ein weiteres Zentrum dieser Literaturepoche angesehen. Von zentraler Bedeutung für die Zeit der Klassik ist der Begriff Humanität. Toleranz, Menschlichkeit, Schönheit, Selbstbestimmung und Harmonie sind wichtige inhaltliche Merkmale der Klassik. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. In der Lyrik haben die Dichter auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. So war beispielsweise die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders populär. Des Weiteren verwendeten die Autoren eine gehobene, pathetische Sprache. Die bekanntesten Schriftsteller der Klassik sind Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe. Andere bekannte Schriftsteller der Klassik sind Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Die beiden letztgenannten arbeiteten aber jeweils für sich. Einen konstruktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Schiller und Goethe.

Das vorliegende Gedicht umfasst 218 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „Das Flüchtigste“, „Das Gesetz der Welten im Menschen“ und „Das Glück“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die verschiedene Weise der Moral“ weitere 413 Gedichte vor.

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