Die erste Schwalbe von Louise Otto-Peters
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Die Lerche hat schon längst ihr Lied gesungen, |
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Gegrüßt den ersten warmen Sonnenstrahl, |
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Die Primeln sind beherzt hervorgedrungen |
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Und Blätterknospen folgen ohne Zahl. |
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Die neue Saat sprießt fröhlich schon hervor |
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Strebt aus der Erde Schoß zum Licht empor. |
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Ein Sänger nach dem andern kehret wieder, |
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Ein Blümchen nach dem andern kommt hervor, |
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Wir schauen auf die Dornen spähend nieder – |
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Da blaut und blüht ein ganzer Veilchenflor, |
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Und junges Grün ringsum das Aug’ erquickt, |
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Das überall nach Lenzeszeichen blickt. |
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Nur eines fehlt und kluge Leute sprechen: |
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So lange wir noch keine Schwalbe sehn |
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Kann sich der Winter noch am Lenze rächen, |
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Kann alle seine Herrlichkeit verwehn |
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Durch Schnee und Sturm aus kaltem Ost und Nord –: |
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Die Schwalbe nur ist unsers Frühlings Hort. |
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Wir dürfen keinen Frühling je vertrauen |
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So lang’ sich nicht die erste Schwalbe zeigt, |
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Noch nicht beginnt ihr trautes Nest zu bauen, |
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Noch nicht mit Zwitschern auf und niedersteigt, |
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Und fröhlich einzieht in den alten Kreis – |
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Sie erst bringt uns des Frühlings dauernd Reis. |
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Und also ist es auch im Völkerleben! |
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Schon manchmal ward ein hartes Joch gesprengt, |
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Schon manchmal hat es freie Flut gegeben |
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Und frisches Grün, das sich hervorgedrängt. |
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Schon manchmal schiens, als sei es Frühlingszeit – |
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Dann kam ein Sturm – und alles war verschneit! |
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Ein Warnungsruf! doch soll er uns nicht rauben |
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Das frohe Hoffen, daß es Frühling wird, |
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Den ewigen, den hohen Zukunftsglauben! |
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Er bleib in jedem Herzen unbeirrt. |
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Doch niemand sei in Sicherheit gewiegt, |
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So lange nicht zum Nest die Schwalbe fliegt. |
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So lange nicht zu uns aus schönem Süden |
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In jedes Haus ein Friedensbote kam – |
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So lange nicht am Herde, den wir hüten |
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Der Freiheit Lied ein jedes Ohr vernahm – |
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So lange nicht von allen Dächern reden |
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Nach kecker Schwalbenart die Volkspropheten! |
Details zum Gedicht „Die erste Schwalbe“
Louise Otto-Peters
7
42
288
1860-1870
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die erste Schwalbe“ stammt von Louise Otto-Peters, einer deutschen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin des 19. Jahrhunderts und ist vermutlich im Kontext der Frauenbewegung zu betrachten.
Dem ersten Eindruck nach handelt das Gedicht von den Zeichen des Frühlings und den Erwartungen, die mit diesem Jahreswechsel verbunden sind. Die erste Schwalbe wird dabei als das ultimative, verlässliche Zeichen für den beginnenden Frühling betrachtet.
Inhaltlich zeigt das Gedicht zunächst das Erwachen der Natur aus dem Winterschlaf. Erst wenn die erste Schwalbe auftaucht, darf man nach Meinung des lyrischen Ichs tatsächlich vom echten Frühlingsbeginn ausgehen. Dann erst fühlt es sich sicher, dass der Winter nicht mehr zurückkehren kann. Im weiteren Verlauf des Gedichts wird diese Naturbeobachtung auf das gesellschaftliche Zusammenleben übertragen. Die Schwalbe symbolisiert hier das sichere Ankommen des Frühlings, während gesellschaftliche Veränderungen, die als Frühlingsanzeichen gewertet werden könnten, oft scheiterten.
Das Gedicht hat eine strenge formale Ordnung mit sieben Strophen zu jeweils sechs Versen. Die Sprache ist klar und anschaulich, bedient sich traditioneller Naturbilder und Vergleiche und verbindet diese mit einer gesellschaftlichen Beobachtung und einer Art Mahnung, nicht vorschnell von einer ersehnten Veränderung auszugehen.
Die Autorin, Louise Otto-Peters, als Mitbegründerin der deutschen Frauenbewegung und langjährige Redakteurin der Frauenzeitschrift „Die Frauenzeitung“ ist bekannt für ihr politisches und soziales Engagement und es ist daher naheliegend, dass sie auch in diesem Gedicht einen gesellschaftlichen Bezug herstellt. Sie sieht die Veränderungen und Reformen, die eine bessere Stellung der Frau in der Gesellschaft zum Ziel haben, noch als unsicher und mahnt zur Wachsamkeit. Erst wenn diese Veränderungen fest in der Gesellschaft verankert sind – vergleichbar mit dem Nestbau der Schwalben – darf man von einem sicheren „Frühling“, also einer besseren Zukunft für die Frauen, ausgehen. In den letzten beiden Strophen wird dann die Hoffnung auf eine friedliche und freie Gesellschaft zum Ausdruck gebracht, in der jeder Mensch seine Rechte und Freiheiten genießen kann.
Weitere Informationen
Die Autorin des Gedichtes „Die erste Schwalbe“ ist Louise Otto-Peters. Geboren wurde Otto-Peters im Jahr 1819 in Meißen. Im Jahr 1870 ist das Gedicht entstanden. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Die Richtigkeit der Epoche sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 288 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 42 Versen. Die Dichterin Louise Otto-Peters ist auch die Autorin für Gedichte wie „An Byron“, „An Georg Herwegh“ und „An Ludwig Börne“. Zur Autorin des Gedichtes „Die erste Schwalbe“ haben wir auf abi-pur.de weitere 106 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Louise Otto-Peters sind auf abi-pur.de 106 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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