Die aus dem Hause Colonna von Rainer Maria Rilke

Ihr fremden Männer, die ihr jetzt so still
in Bildern steht, ihr saßet gut zu Pferde
und ungeduldig gingt ihr durch das Haus;
wie ein schöner Hund, mit derselben Gebärde
ruhn eure Hände jetzt bei euch aus.
 
Euer Gesicht ist so voll von Schauen,
denn die Welt war euch Bild und Bild;
aus Waffen, Fahnen, Früchten und Frauen
quillt euch dieses große Vertrauen,
10 
daß alles ist und daß alles gilt.
 
11 
Aber damals als ihr noch zu jung
12 
wart, die großen Schlachten zu schlagen,
13 
zu jung um den päpstlichen Purpur zu tragen,
14 
nicht immer glücklich bei Reiten und Jagen,
15 
Knaben noch, die sich den Frauen versagen,
16 
habt ihr aus jenen Knabentagen
17 
keine, nicht eine Erinnerung?
 
18 
Wißt ihr nicht mehr was damals war?
 
19 
Damals war der Altar
20 
mit dem Bilde auf dem Maria gebar
21 
in dem einsamen Seitenschiff.
22 
Euch ergriff
23 
eine Blumenranke;
24 
der Gedanke,
25 
daß die Fontäne allein
26 
draußen im Garten in Mondenschein
27 
ihre Wasser warf
28 
war wie eine Welt.
 
29 
Das Fenster ging bis zu den Füßen auf wie eine Thür;
30 
und es war Park mit Wiesen und Wegen:
31 
seltsam nah und doch so entlegen,
32 
seltsam hell und doch wie verborgen,
33 
und die Brunnen rauschten wie Regen
34 
und es war als käme kein Morgen
35 
dieser langen Nacht entgegen,
36 
die mit allen Sternen stand.
 
37 
Damals wuchs euch, Knaben, die Hand,
38 
die warm war. (Ihr aber wußtet es nicht.)
39 
Damals breitete euer Gesicht sich aus.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Die aus dem Hause Colonna“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
39
Anzahl Wörter
231
Entstehungsjahr
1906
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das in Rede stehende Gedicht „Die aus dem Hause Colonna“ stammt von Rainer Maria Rilke. Rilke, der von 1875 bis 1926 lebte, gehört zur literarischen Epoche der Moderne. Seine umfangreichen Werke begründen seinen Ruf als einer der wichtigsten Lyriker der deutschen Literatur.

Auf den ersten Eindruck scheint das Gedicht sehr bildhaft und erzählend zu sein. Es scheint eine Art fotografische Momentaufnahme der Männer aus dem Hause Colonna einzufangen, ihre vergangene Jugend im Gegensatz zu ihrer gegenwärtigen Erscheinung darzustellen.

Inhaltlich richtet sich das lyrische Ich mit seinen Worten an die Männer des Hauses Colonna. Es betrachtet diese Männer, die nun still und ruhig in Bildern dargestellt sind, erinnert sich aber an ihre jugendliche Unruhe, ihr Herumwandern und ihre lebhafte Art. Es schaut auf ihre Hände, die nun ruhig sind, und auf ihre Gesichter, die voll sind von Erlebnissen und Schauen. Es erinnert sie daran, dass sie einmal jung waren, zu jung für Schlachten und Reiten, und fragt sie, ob sie sich an diese Zeiten erinnern. Es erinnert sie auch an den Altar, an die Gartenfontäne, an das Fenster, das wie eine Tür sich öffnete, und an die grünen Wiesen und Wege draußen - Elemente, die Stimmungen und Gefühle ihrer Jugend evozieren. Abschließend, erinnert es sie an ihre jugendliche Vitalität – ihre wachsenden Hände, ihr sich ausbreitendes Gesicht.

In Bezug auf Form und Sprache handelt es sich um ein sehr langes Gedicht mit sieben Strophen unterschiedlicher Länge. Es zeichnet sich durch seinen freien Vers aus, der es Rilke ermöglicht, seine Gedanken und Bilder fließend und flexibel zu formulieren. Die Sprache ist bildreich und metaphorisch, voll von konkreten und physischen Details, die die Vergangenheit der Männer zum Leben erwecken.

Was das lyrische Ich aussagen möchte, lässt sich deuten als Betrachtung über die Vergänglichkeit des Lebens, über das Altern und das Vergehen der Zeit. Es spricht die Männer direkt an und fordert sie auf, sich an ihre Jugend zu erinnern und so ihre momentane Stille und Ruhe zu kontrastieren. Es scheint eine Melancholie in der Erinnerung an die Vergangenheit und der Konfrontation mit der Gegenwart zu geben. Es lässt uns nachdenken über die unausweichliche Vergänglichkeit und die Bedeutung der Erinnerung in unserem Leben. Es geht um das Festhalten von Momenten, das Erinnern und das Loslassen, es ist ein Gedicht über das Leben selbst.

Weitere Informationen

Rainer Maria Rilke ist der Autor des Gedichtes „Die aus dem Hause Colonna“. Der Autor Rainer Maria Rilke wurde 1875 in Prag geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1906 entstanden. Berlin / Leipzig, Stuttgart ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Moderne zuordnen. Bei Rilke handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 39 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 231 Worte. Die Gedichte „Abend“, „Abend“ und „Abend in Skaane“ sind weitere Werke des Autors Rainer Maria Rilke. Zum Autor des Gedichtes „Die aus dem Hause Colonna“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 338 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Das Video mit dem Titel „Die aus dem Hause Colonna [R. M. Rilke]“ wurde auf YouTube veröffentlicht. Unter Umständen sind 2 Klicks auf den Play-Button erforderlich um das Video zu starten.

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Rainer Maria Rilke

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Rainer Maria Rilke und seinem Gedicht „Die aus dem Hause Colonna“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Rainer Maria Rilke (Infos zum Autor)

Zum Autor Rainer Maria Rilke sind auf abi-pur.de 338 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.