Die arme Frau von Kurt Tucholsky

Mein Mann? mein dicker Mann, der Dichter?
Du lieber Gott, da seid mir still!
Ein Don Juan? Ein braver, schlichter
Bourgeois – wie Gott ihn haben will.
 
Da steht in seinen schmalen Büchern,
wieviele Frauen er geküßt;
von seidenen Haaren, seidenen Tüchern,
Begehren, Kitzel, Brunst, Gelüst …
 
Liebwerte Schwestern, laßt die Briefe,
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den anonymen Veilchenstrauß!
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Es könnt ihn stören, wenn er schliefe.
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Denn meist ruht sich der Dicke aus.
 
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Und faul und fett und so gefräßig
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ist er und immer reklamiert.
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Und dabei gluckert er unmäßig
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vom Rotwein, den er temperiert.
 
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Ich sah euch wilder und erpichter
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von Tag zu Tag – ach! laßt das sein!
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Mein Mann? mein dicker Mann, der Dichter?
20 
In Büchern: ja.
21 
Im Leben: nein.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Die arme Frau“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
21
Anzahl Wörter
116
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Kurt Tucholsky, ein wichtiger Vertreter der Literatur der Weimarer Republik. Das genaue Erscheinungsdatum des Gedichts ist nicht angegeben, es lässt sich aber in den Zeitraum der 1920er und 1930er Jahre einordnen.

Der erste Eindruck des Gedichts ist humorvoll und ironisch. Es spielt mit den gesellschaftlichen Vorstellungen von Dichtern und deren Lebensstil.

Der Inhalt des Gedichts handelt von der Ehefrau eines Dichters, die in ironischer Weise über ihren dicken, trinkenden und faulen Ehemann spricht. Dieser prahlt in seinen Büchern mit zahlreichen Affären und einem Leben voller Leidenschaft, während er in Wirklichkeit ein einfacher Bourgeois mit wenig Glamour ist.

Das lyrische Ich, wahrscheinlich die Frau des Dichters, möchte darauf hinweisen, dass das öffentliche Bild ihres Mannes als charmanter Don Juan nichts mit der Realität zu tun hat. Sie macht sich über sein Aufgebauschtsein lustig und entlarvt die Diskrepanz zwischen seiner literarischen und seiner privaten Persönlichkeit.

Formell besteht das Gedicht aus fünf Strophen, die jeweils eine unterschiedliche Anzahl an Versen aufweisen. Diese Unregelmäßigkeit in der Struktur könnte eine Reflexion der Chaotik und Inkonsistenz im Leben des Dichters sein.

Die Sprache des Gedichts ist einfach, klar und humoristisch, geprägt von ironischen Formulierungen. Die Wiederaufnahme des Anfangsverses in der letzten Strophe verstärkt den sarkastischen Ton und schließt das Gedicht thematisch ab.

Insgesamt ist das Gedicht eine satirische Darstellung der Diskrepanz zwischen öffentlicher Person und Privatperson, indem es die typisch idealisierte Vorstellung von Künstlern und ihre tatsächlichen Lebensbedingungen gegenüberstellt. Es ist Tucholskys kritisch-humorvolle Betrachtung der Künstleridentität und gleichzeitig eine Hommage an die ungeschönte Realität.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die arme Frau“ des Autors Kurt Tucholsky. Der Autor Kurt Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Charlottenburg. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden inhaltlich häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Autoren dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Schriftsteller ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. In Folge dessen flohen viele Schriftsteller aus Deutschland ins Ausland. Die Exilliteratur bildet eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Themen der deutschen Exilliteratur lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Arbeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte einerseits die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Andererseits aber auch den Widerstand unterstützen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 21 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 116 Worte. Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „An einen garnisondienstfähigen Dichter“, „An ihren Papa“ und „Apage, Josephine, apage–!“. Zum Autor des Gedichtes „Die arme Frau“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

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