Der Kranke von Adelbert von Chamisso

Sei mir gegrüßt, o mein geliebter Wald!
Du Schauplatz meiner Kindheit froher Spiele,
Zum letzten Mal gegrüßt! ich scheide bald.
So jung annoch, und schon am letzten Ziele!
 
Dein Laub wird gelb und gelber, fällt schon ab,
Ich seh es wohl, und fühle mich gebrochen,
Und blicke trauernd in mein frühes Grab.
Im Sommer hat der Arzt zu mir gesprochen:
 
»Es prangt der Wald im grünen Schmuck noch heut,
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Du siehst ihn bald sich einmal noch entfärben,
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Und wann der Herbst sein falbes Laub verstreut,
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So wirst du, Früh-Verwelkter, selber sterben.«
 
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Es ist ein Gestern worden, unerhört!
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Das Heut, wo du im grünen Schmuck gepranget;
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Herbst ist's: es fällt dein Laub, wie sich's gehört,
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Und mahnt mich, daß der Tod nach mir verlanget.
 
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O falle, Laub! ich kenne ja mein Los,
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Zu sterben ohne noch gelebt zu haben;
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Sie werden klanglos bald und namenlos
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Am Fuße dieser Eiche mich vergraben.
 
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O falle, Laub! dem Aug entziehe du
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Der Mutter, die mit Schmerzen mich geboren,
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Die schmerzlich stille Stätte meiner Ruh!
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Sie hat die Hoffnung, unerfüllt, verloren.
 
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Wenn aber Eine kommt, die ich gemeint,
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Und sucht den kleinen Platz in Waldesräumen,
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Und auf den Hügel sie sich wirft und weint,
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O rausche, Laub! ich werde von ihr träumen.
 
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Er lieget nun am Fuß der Eiche dort,
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Nicht aber ist, die er gemeint, gekommen,
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Es überdecken Laub und Schnee den Ort,
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Und weit umher wird nur das Wild vernommen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Der Kranke“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
237
Entstehungsjahr
1781 - 1838
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Der Kranke“ ist Adelbert von Chamisso. Im Jahr 1781 wurde Chamisso geboren. Im Zeitraum zwischen 1797 und 1838 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Chamisso ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kulturgeschichte, zeitlich anzusiedeln vom späten 18. Jahrhundert bis tief in das 19. Jahrhundert hinein. Auf die Literatur bezogen: von 1795 bis 1848. Sie hatte verschiedenste Auswirkungen auf Literatur, Kunst, Musik und Philosophie jener Zeit. Die Romantik kann in drei Phasen unterteilt werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Die Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. In ganz Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichermaßen bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Industrialisierung und technologischer Fortschritt sind prägend für diese Zeit. In der Romantik gilt das Mittelalter als das Ideal und wird verherrlicht. Die Kunst und Architektur der Zeit des Mittelalters werden geschätzt, gepflegt und gesammelt. Missstände dieser Zeit bleiben unberücksichtigt und scheinen bei den Schriftstellern in Vergessenheit geraten zu sein. So ist gerade die Verklärung des Mittelalters ein zentrales Merkmal der Romantik. Außerdem sind die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur und die romantische Ironie weitere zentrale Merkmale dieser Epoche. Die grundsätzlichen Themen waren Seele, Gefühle, Individualität und Leidenschaft. In der Literatur wurden diese Themen unter anderem durch Motive der Sehnsucht, Todessehnsucht, Fernweh oder Einsamkeit in der Fremde ausgedrückt. Die Stilepoche kennzeichnet sich vor allem durch offene Formen in Texten und Gedichten. Phantasie ist für die Romantiker das Maß aller Dinge. Die Trennung zwischen Wissenschaft und Poesie, zwischen Wirklichkeit und Traum soll durchbrochen werden. Die Schriftsteller der Romantik streben eine Verschmelzung von Kunst und Literatur an. Ihr Ziel ist es, alle Lebensbereiche zu poetisieren.

Das vorliegende Gedicht umfasst 237 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Adelbert von Chamisso sind „Der alte Müller“, „Die Sonne bringt es an den Tag“ und „Der Soldat“. Zum Autor des Gedichtes „Der Kranke“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 146 Gedichte vor.

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