Die Großmutter von Adelbert von Chamisso
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»Großmutter, schläfst du? Deine Lippen pflegen |
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Wie betend sich im Schlafe zu bewegen, |
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Wie bist du heute regungslos und bleich? |
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Die Hände starr auf deiner Brust vereinet, |
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Die nicht dein Atem zu erheben scheinet, |
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Dem Marmorbild der Schmerzensmutter gleich. |
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Blick auf, erwache, rede! wie betrübest |
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Du, Mutter, deine Kinder, die du liebest? |
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Was taten wir? wir waren beide fromm. |
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Du zürnest uns? du hörst nicht unsre Stimmen? |
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Sieh her! die Lampe flackert im Verglimmen, |
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Und schon das Feuer auf dem Herd verglomm. |
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Und willst du Licht und Feuer nicht erhalten, |
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So müssen wir erstarren in dem kalten |
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Und finstren Haus; zu spät erwachst du dann, |
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Auch wir beharren stumm in deinen Armen |
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Und können nicht an deiner Brust erwarmen, |
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Du rufst die Heiligen vergebens an. |
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Großmutter, o wie kalt sind deine Hände! |
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Wir wollen sie in unsern wärmen, wende |
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Nur deinen Blick uns freundlich wieder zu; |
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Da hast du dein Gesangbuch, nimm es wieder, |
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Du hast es fallen lassen, sing uns Lieder |
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Du nimmst es nicht, und nichts erwiderst du? |
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Zeig uns, wir waren fromm, uns zu belohnen, |
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Das Bild der Bibel, wo die Heil'gen wohnen |
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Beim lieben Gott, umstrahlt von seinem Licht; |
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Erklär uns dann die göttlichen Gebote, |
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Und sprich vom beßren Leben nach dem Tode, |
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Was ist der Tod? - du brichst das Schweigen nicht!« |
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So hallte lange noch der Waisen Klage, |
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Die Nacht brach ein, sie wich dem jungen Tage, |
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Die Turm-Uhr maß die Zeit mit gleichem Schlag; |
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Zur offnen Türe lauschend sah die Kleinen |
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Am Sterbebette knieen, beten, weinen |
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Ein Wandrer späte noch am andern Tag. |
Details zum Gedicht „Die Großmutter“
Adelbert von Chamisso
6
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260
1781 - 1838
Romantik
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichtes „Die Großmutter“ ist Adelbert von Chamisso. Im Jahr 1781 wurde Chamisso geboren. Im Zeitraum zwischen 1797 und 1838 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Chamisso handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.
Der Romantik vorausgegangen waren die Epochen der Weimarer Klassik und der Aufklärung. Die Literaturepoche der Romantik ist zeitlich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein einzuordnen. Insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Musik und der Literatur hatte diese Epoche Auswirkungen. Bis in das Jahr 1804 hinein spricht man in der Literatur von der Frühromantik, bis 1815 von der Hochromantik und bis 1848 von der Spätromantik. Die Epoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. In ganz Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichermaßen bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Technologischer Fortschritt und Industrialisierung sind prägend für diese Zeit. In der Romantik finden sich verschiedene charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind bedeutende Motive. Aber auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben jedoch unbeachtet. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist völlig offen. Kein festgesetztes Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.
Das 260 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Der Dichter Adelbert von Chamisso ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Mutter und das Kind“, „Das Mädchen“ und „Der Spielmann“. Zum Autor des Gedichtes „Die Großmutter“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 146 Gedichte vor.
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