Der Sohn der Witwe von Adelbert von Chamisso

Her zogen die Schwäne mit Kriegsgesang:
Zu Roß, zu Roß! es dröhnend erklang.
 
Es reiten aus allen Höfen umher
Die jüngern Söhne zum Kriegesheer.
 
Es ist mit uns gar schlimm bestellt,
Und keiner bleibt, wenn einer sich stellt.
 
Du ziehst, mein Bräut'gam, mein Bruder, mein Sohn,
Du ziehst in den Krieg, das wissen wir schon.
 
Wir Frauen bedienen den Kriegesknecht,
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Den Helmbusch steckt die Braut dir zurecht,
 
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Den Rappen führt die Schwester dir vor,
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Dir öffnet die Mutter des Hofes Tor.
 
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Wann kehrst du, mein Bräut'gam, mein Bruder, mein Kind,
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Wann kehrst du zurück? das sag uns geschwind.
 
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Sind Luft und Wasser und Land erst frei,
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Dann säum ich nicht länger, dann eil ich herbei.
 
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Und Luft und Wasser und Land sind frei,
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Was säumt er noch länger, und eilt nicht herbei?
 
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Wir Frauen, wir wollen entgegen ihm gehn,
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Wir wollen vom Hügel entgegen ihm sehn.
 
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Dort harren die Frauen und lauschen zu Tal
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Die Straße entlang im Sonnenstrahl.
 
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Und auf und nieder die Sonne steigt,
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Kein Reitersmann dem Blicke sich zeigt.
 
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Jetzt hebt sich Staub, jetzt kommt im Lauf
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Ein Rappe daher - kein Reiter sitzt drauf.
 
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Sie fangen ihn ein, sie fragen ihn aus:
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Wie kommst du, mein Rappe, doch ledig nach Haus?
 
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Bist, schlechter Gaul, dem Herrn du entflohn?
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Wo blieb mein Bräut'gam, mein Bruder, mein Sohn?
 
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Sie haben erschossen ihn in der Schlacht,
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Auf grüner Heide sein Bett ihm gemacht.
 
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Mich ließen sie laufen in alle Welt,
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Ich habe die Botschaft trauernd bestellt.
 
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Es zogen drei Schwäne mit Klaggesang,
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Ein Grab zu suchen, die Heide entlang.
 
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Sie ließen sich nieder, wie sie es ersahn,
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Zu Füßen, zu Haupte, zur Seite ein Schwan.
 
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Zu Haupte die Schwester, zu Füßen die Braut,
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Zur Seite die Mutter, hoch ergraut:
 
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O wehe, weh, Verwaisten uns drei'n!
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Wer stimmt in unsre Klage mit ein?
 
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Darauf die Sonne, sich neigend, begann:
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Ich stimme mit ein, so gut ich kann.
 
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Neun Tage traur ich in Nebelflor,
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Und komm am zehnten nicht hervor.
 
47 
Die Trauer der Braut drei Wochen war,
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Die Trauer der Schwester, die war drei Jahr,
 
49 
Die Mutter hat der Trauer gepflegt,
50 
Bis müde sie selbst ins Grab sich gelegt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.9 KB)

Details zum Gedicht „Der Sohn der Witwe“

Anzahl Strophen
25
Anzahl Verse
50
Anzahl Wörter
358
Entstehungsjahr
1781 - 1838
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Der Sohn der Witwe“ ist Adelbert von Chamisso. Chamisso wurde im Jahr 1781 geboren. Im Zeitraum zwischen 1797 und 1838 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Bei dem Schriftsteller Chamisso handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Als Romantik wird die Epoche der Kunstgeschichte bezeichnet, deren Ausprägungen sich sowohl in der Literatur, Kunst und Musik als auch in der Philosophie niederschlugen. Die Epoche der Romantik lässt sich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert verorten. Die literarische Romantik kann darauf aufbauend etwa auf die Jahre 1795 bis 1848 zeitlich eingeordnet werden. Bis in das Jahr 1804 hinein spricht man in der Literatur von der Frühromantik, bis 1815 von der Hochromantik und bis 1848 von der Spätromantik. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von bedeutenden Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (beginnend im Jahr 1789) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Technik und Wissenschaft, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. Bedeutende Motive in der Lyrik der Romantik sind die Ferne und Sehnsucht sowie das Gefühl der Heimatlosigkeit. Weitere Motive sind das Fernweh, das Nachtmotiv oder die Todessehnsucht. So symbolisierte die Nacht nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das Mysteriöse, Geheimnisvolle und galt als Ursprung der Liebe. Merkmale der Romantik sind die Hinwendung zur Natur, die Weltflucht oder der Rückzug in Traumwelten. Insbesondere ist aber auch die Idealisierung des Mittelalters aufzuzeigen. Kunst und Architektur des Mittelalters wurden von den Vertretern der Romantik wieder geschätzt. Die Stilepoche kennzeichnet sich vor allem durch offene Formen in Texten und Gedichten. Phantasie ist für Romantiker das Maß aller Dinge. Die Trennung zwischen Poesie und Wissenschaft, zwischen Traum und Wirklichkeit soll durchbrochen werden. Die Schriftsteller der Romantik streben eine Verschmelzung von Kunst und Literatur an. Ihr Ziel ist es letztlich, alle Lebensbereiche zu poetisieren.

Das Gedicht besteht aus 50 Versen mit insgesamt 25 Strophen und umfasst dabei 358 Worte. Der Dichter Adelbert von Chamisso ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Mutter und das Kind“, „Das Mädchen“ und „Der Spielmann“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Sohn der Witwe“ weitere 146 Gedichte vor.

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