Der rechte Barbier von Adelbert von Chamisso

Und soll ich nach Philisterart
Mir Kinn und Wange putzen,
So will ich meinen langen Bart
Den letzten Tag noch nutzen;
Ja! ärgerlich, wie ich nun bin,
Vor meinem Groll, vor meinem Kinn,
Soll mancher noch erzittern.
 
»Holla! Herr Wirt, mein Pferd! macht fort!
Ihm wird der Hafer frommen.
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Habt ihr Barbierer hier im Ort?
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Laßt gleich den rechten kommen.
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Waldaus, waldein, verfluchtes Land!
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Ich ritt die Kreuz und Quer und fand
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Doch nirgends noch den rechten.
 
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Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut!
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Du sollst den Bart mir kratzen;
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Doch kitzlich sehr ist meine Haut,
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Ich biete hundert Batzen;
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Nur, machst du nicht die Sache gut,
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Und fließt ein einz'ges Tröpflein Blut,
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Fährt dir mein Dolch ins Herze.«
 
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Das spitze, kalte Eisen sah
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Man auf dem Tische blitzen,
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Und dem verwünschten Ding gar nah
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Auf seinem Schemmel sitzen
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Den grimm'gen schwarzbehaarten Mann
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Im schwarzen, kurzen Wams, woran
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Noch schwärzre Troddeln hingen.
 
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Dem Meister wird's zu grausig fast,
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Er will die Messer wetzen,
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Er sieht den Dolch, er sieht den Gast,
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Es packt ihn das Entsetzen;
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Er zittert wie das Espenlaub,
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Er macht sich plötzlich aus dem Staub
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Und sendet den Gesellen.
 
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»Ein Hundert Batzen mein Gebot,
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Falls du die Kunst besitzest;
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Doch, merk es dir, dich stech ich tot,
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So du die Haut mir ritzest.«
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Und der Gesell: »Den Teufel auch!
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Das ist des Landes nicht der Brauch.«
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Er läuft und schickt den Jungen.
 
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»Bist du der rechte, kleiner Molch?
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Frisch auf! fang an zu schaben;
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Hier ist das Geld, hier ist der Dolch,
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Das beides ist zu haben;
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Und schneidest, ritzest du mich bloß,
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So geb ich dir den Gnadenstoß;
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Du wärest nicht der erste.«
 
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Der Junge denkt der Batzen, druckst
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Nicht lang und ruft verwegen;
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»Nur still gesessen! nicht gemuckst!
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Gott geb Euch seinen Segen!«
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Er seift ihn ein ganz unverdutzt,
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Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt:
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»Gottlob! nun seid Ihr fertig.«
 
57 
»Nimm, kleiner Knirps, dein Geld nur hin;
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Du bist ein wahrer Teufel!
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Kein andrer mochte den Gewinn,
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Du hegtest keinen Zweifel,
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Es kam das Zittern dich nicht an,
62 
Und wenn ein Tröpflein Blutes rann,
63 
So stach ich doch dich nieder.«
 
64 
»Ei! guter Herr, so stand es nicht,
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Ich hielt Euch an der Kehle,
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Verzucktet Ihr nur das Gesicht
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Und ging der Schnitt mir fehle,
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So ließ ich Euch dazu nicht Zeit,
69 
Entschlossen war ich und bereit
70 
Die Kehl Euch abzuschneiden.«
 
71 
»So so! ein ganz verwünschter Spaß!«
72 
Dem Herrn ward's unbehäglich,
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Er wurd auf einmal leichenblaß
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Und zitterte nachträglich:
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»So so! das hatt ich nicht bedacht,
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Doch hat es Gott noch gut gemacht;
77 
Ich will's mir aber merken.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Der rechte Barbier“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
77
Anzahl Wörter
431
Entstehungsjahr
1781 - 1838
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der rechte Barbier“ des Autors Adelbert von Chamisso. Geboren wurde Chamisso im Jahr 1781 . In der Zeit von 1797 bis 1838 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Chamisso ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Literatur der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Literaturepoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. In ganz Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichermaßen bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Industrialisierung und technologischer Fortschritt sind prägend für diese Zeit. Wesentliche Motive in der Lyrik der Romantik sind die Ferne und Sehnsucht sowie das Gefühl der Heimatlosigkeit. Weitere Motive sind das Fernweh, die Todessehnsucht oder das Nachtmotiv. So symbolisierte die Nacht nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das Mysteriöse, Geheimnisvolle und galt als Ursprung der Liebe. Typische Merkmale der Romantik sind die Hinwendung zur Natur, die Weltflucht oder der Rückzug in Traumwelten. Insbesondere ist aber auch die Idealisierung des Mittelalters aufzuzeigen. Architektur und Kunst des Mittelalters wurden von den Romantikern wieder geschätzt. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist dabei völlig offen. Kein festgesetztes Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits direkt nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das vorliegende Gedicht umfasst 431 Wörter. Es baut sich aus 11 Strophen auf und besteht aus 77 Versen. Weitere Werke des Dichters Adelbert von Chamisso sind „Zweites Lied von der alten Waschfrau“, „Die alte Waschfrau“ und „Der alte Müller“. Zum Autor des Gedichtes „Der rechte Barbier“ haben wir auf abi-pur.de weitere 146 Gedichte veröffentlicht.

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