Der neue Ahasverus von Adelbert von Chamisso
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Hegst im Herzen du die Stunden |
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Unsrer Kindheit noch, die Träume, |
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All mein Lieben, all mein Hoffen? |
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Siehst du wandeln uns verbunden |
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Durch des Paradieses Räume, |
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Und die Zukunft vor uns offen, |
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Sternbeglänzt und ungemessen, |
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Wie des Äthers reines Blau? |
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Nein, Sie haben das vergessen, |
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Gnäd'ge Frau. |
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Ja vergessen! und es sollen |
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Die französisch wohlgestellten |
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Worte für Erinnrung gelten! |
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Mitleid also und Erbarmen |
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Schenken gnädig Sie dem Armen, |
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Dessen Tränen Sie entrollen |
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Sehen, ohne nur zu wissen, |
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Welch ein Dämon ihn betört. |
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O du hast mein Herz zerrissen |
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Unerhört! |
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Hab in altem Buch gelesen |
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Eine wundersame Sage, |
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Wer der ew'ge Jud gewesen. |
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Nicht kann Ahasverus sterben, |
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Sterben nicht, noch Ruh erwerben, |
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Bis der Herr am jüngsten Tage |
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Ruft die Toten aus dem Grabe, |
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Und auch er vernimmt das Wort; |
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Und er wankt am Wanderstabe |
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Fort und fort. |
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Fürder durch der Erde Weiten |
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Rastlos, müden Fußes wallt er, |
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Läßt die Weltgeschichte fluten. |
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Menschenalter ihm Minuten, |
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Und Minuten Menschenalter, |
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Stehen still vor ihm die Zeiten, |
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Bleibt in ihm sein Herz, das alte, |
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Drin der alte Schmerz gebannt, |
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Lastend über ihm die kalte |
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Schicksalshand. |
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Aber stets nach hundert Jahren |
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Treibt's nach Salem ihn zu wandern, |
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Von der Heimat zu erfahren. |
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Römer, Sarazenen, Franken |
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Wechselten, verdrängt von andern, |
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Tempel und Altäre sanken, |
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Mauern und Paläste brachen, |
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Flüsse wandten ihren Lauf, |
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Neue Götter, neue Sprachen |
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Steigen auf. |
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Düster sinnt der Fremdgewordne |
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Über unbekannten Trümmern, |
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Daß im Geist er's wieder ordne; |
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Und er fragt, und fragt vergebens, |
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Keiner will um ihn sich kümmern, |
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Auf dem Grabe seines Lebens |
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Steht versteint der Sohn der Schmerzen, |
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Über ihn hin braust der Sturm, |
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Und in seinem alten Herzen |
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Nagt der Wurm. |
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Ich bin Ahasverus, sag ich! |
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Sieh darauf mich an verwundert, |
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Salem du, wovor mir grauet. |
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Irrens müd, das Haar ergrauet, |
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Wank ich heim nach aber hundert |
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Jahren und vergebens frag ich, |
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Ruf ich - in den öden Mauern |
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Weck ich keinen Widerhall; |
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Sieh Versteinten mich betrauern |
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Salems Fall. |
Details zum Gedicht „Der neue Ahasverus“
Adelbert von Chamisso
7
70
320
1781 - 1838
Romantik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der neue Ahasverus“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Adelbert von Chamisso. 1781 wurde Chamisso geboren. Zwischen den Jahren 1797 und 1838 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Chamisso ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.
Die Romantik ist eine Epoche der Kulturgeschichte, zeitlich anzusiedeln vom späten 18. Jahrhundert bis spät in das 19. Jahrhundert hinein. Auf die Literatur bezogen: von 1795 bis 1848. Sie hatte verschiedenste Auswirkungen auf Literatur, Musik, Philosophie und Kunst jener Zeit. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (beginnend im Jahr 1789) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Wissenschaft und Technik, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. In der Romantik finden sich unterschiedliche charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind wichtige zu benennende Motive. Auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben jedoch unbeachtet. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und gedanklicher Klarheit, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unendlich. Dabei baut sie zwar auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.
Das 320 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 70 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Adelbert von Chamisso ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Mutter und das Kind“, „Das Mädchen“ und „Der Spielmann“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der neue Ahasverus“ weitere 146 Gedichte vor.
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