Die Giftmischerin von Adelbert von Chamisso

Dies hier der Block und dorten klafft die Gruft.
Laßt einmal noch mich atmen diese Luft,
Und meine Leichenrede selber halten.
Was schauet ihr mich an so grausenvoll?
Ich führte Krieg, wie jeder tut und soll,
Gen feindliche Gewalten.
Ich tat nur eben, was ihr alle tut,
Nur besser; drum, begehret ihr mein Blut,
So tut ihr gut.
 
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Es sinnt Gewalt und List nur dies Geschlecht;
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Was will, was soll, was heißet denn das Recht?
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Hast du die Macht, du hast das Recht auf Erden.
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Selbstsüchtig schuf der Stärkre das Gesetz,
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Ein Schlächterbeil zugleich und Fangenetz
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Für Schwächere zu werden.
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Der Herrschaft Zauber aber ist das Geld:
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Ich weiß mir Beßres nichts auf dieser Welt,
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Als Gift und Geld.
 
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Ich habe mich aus tiefer Schmach entrafft,
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Vor Kindermärchen Ruhe mir geschafft,
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Die Schrecken vor Gespenstern überwunden.
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Das Gift erschleicht im Dunkeln Geld und Macht,
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Ich hab es zum Genossen mir erdacht,
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Und hab es gut befunden.
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Hinunter stieß ich in das Schattenreich
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Mann, Brüder, Vater, und ich ward zugleich
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Geehrt und reich.
 
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Drei Kinder waren annoch mir zur Last,
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Drei Kinder meines Leibes; mir verhaßt,
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Erschwerten sie mein Ziel mir zu erreichen.
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Ich habe sie vergiftet, sie gesehn,
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Zu mir um Hülfe rufend, untergehn,
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Bald stumme, kalte Leichen.
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Ich hielt die Leichen lang auf meinem Schoß,
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Und schien mir, sie betrachtend tränenlos,
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Erst stark und groß.
 
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Nun frönt ich sicher heimlichem Genuß,
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Mein Gift verwahrte mich vor Überdruß
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Und ließ die Zeugen nach der Tat verschwinden.
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Daß Lust am Gift, am Morden ich gewann,
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Wer, was ich tat, erwägt und fassen kann,
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Der wird's begreiflich finden.
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Ich teilte Gift wie milde Spenden aus,
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Und weilte lüstern Auges, wo im Haus
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Der Tod hielt Schmaus.
 
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Ich habe mich zu sicher nur geglaubt,
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Und büß es billig mit dem eignen Haupt,
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Daß ich der Vorsicht einmal mich begeben.
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Den Fehl, den einen Fehl bereu ich nur,
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Und gäbe, zu vertilgen dessen Spur,
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Wie viele eurer Leben!
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Du, schlachte mich nun ab, es muß ja sein.
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Ich blicke starr und fest vom Rabenstein
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Ins Nichts hinein.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.7 KB)

Details zum Gedicht „Die Giftmischerin“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
54
Anzahl Wörter
343
Entstehungsjahr
1781 - 1838
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Giftmischerin“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Adelbert von Chamisso. Der Autor Adelbert von Chamisso wurde 1781 geboren. Im Zeitraum zwischen 1797 und 1838 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Bei Chamisso handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik war eine Epoche der europäischen Literatur, Kunst und Kultur. Sie begann gegen Ende des 18. Jahrhunderts und dauerte in der Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Romantik kann in drei Phasen unterteilt werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Romantikern zuwider. Sie stellten sich in ihren Schriften gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. Weltflucht, Hinwendung zur Natur, Verklärung des Mittelalters (damalige Kunst und Architektur wurde nun wieder geschätzt), Rückzug in Fantasie- und Traumwelten, Betonung des Individuums und romantische Ironie sind typische Merkmale der Romantik. Die Themen der Romantik zeigen sich in verschiedenen Motiven und Symbolen. So gilt beispielsweise die Blaue Blume als das zentrale Motiv der romantischen Literatur. Sie symbolisiert Sehnsucht und Liebe und verbindet Natur, Mensch und Geist. Die Nacht hat ebenfalls eine besondere Bedeutung in der Literatur der Romantik. Sie ist der Schauplatz für zahlreiche weitere Motive dieser Epoche: Vergänglichkeit, Tod und nicht alltägliche, obskure Phänomene. Im ebenfalls in dieser Epoche zu findenden Spiegelmotiv zeigt sich die Hinwendung der Romantik zum Unheimlichen. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist dabei völlig offen. Kein starres Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das 343 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 54 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Der Dichter Adelbert von Chamisso ist auch der Autor für Gedichte wie „Der alte Müller“, „Die Sonne bringt es an den Tag“ und „Der Soldat“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Giftmischerin“ weitere 146 Gedichte vor.

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