Das Vermächtnis von Adelbert von Chamisso

Ich bin schon alt, es mahnt der Zeiten Lauf
Mich oft an längst geschehene Geschichten,
Und die erzähl ich, horcht auch niemand auf.
So weiß ich aus der Chronik und Gedichten,
Wie bei der Pest es in Ferrara war,
Und will davon nur einen Zug berichten.
Es scheute wohl sich jeder vor Gefahr,
Den pesterkrankten Vater floh der Sohn,
Die Mutter selbst das Kind, das sie gebar.
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Es war zu heißer Sommerzeit; geflohn
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Von Freunden und Verwandten, weltverlassen
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Lag Basso della Penna sterbend schon.
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Sein Testament, das wollt er schreiben lassen;
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Es ließ sich endlich ein Notar bewegen,
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Das Dokument rechtskräftig zu verfassen.
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Und er: »Ich will es ihnen auferlegen,
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Ich meine meinen Kindern, meinen Erben,
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Anständig meine Fliegen zu verpflegen.«
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Und der Notar: »Ihr lieget schon im Sterben,
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Wie schickt sich's, Basso, daß Ihr Scherze treibt,
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Anstatt um Euer Heil Euch zu bewerben.«
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Drauf dieser: »Schreibt, wie ich Euch sage, schreibt!
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Ihr seht mich ja verlassen von den Meinen,
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Da noch dies Fliegenvolk mir treu verbleibt.
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Nur treu aus Eigennutz, so mögt Ihr meinen;
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Ich will's nicht untersuchen, will allein
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Es wissen, daß die Treusten sie mir scheinen;
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Bei Gott! ich muß und will erkenntlich sein,
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Drum, schreibt es nieder, so wie ich Euch sage,
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Denn wohlerwogen ist der Wille mein:
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Alljährig sollen sie am Jakobstage
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Aussetzen einen Scheffel reifer Feigen
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Den Fliegen allzumal zum Festgelage.
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Und sollten sie darin sich lässig zeigen,
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Und unterblieb' es nur ein einzig Mal,
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Fällt Hab und Gut dem Armenhaus zu eigen.«
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Und noch geschieht es so, wie er befahl,
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Und am bestimmten Tage zugemessen
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Wird noch den Fliegen ihr bestimmtes Mahl.
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Der Fliegen hat kein Erbe je vergessen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Das Vermächtnis“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
276
Entstehungsjahr
1781 - 1838
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das Vermächtnis“ des Autors Adelbert von Chamisso. Der Autor Adelbert von Chamisso wurde 1781 geboren. Zwischen den Jahren 1797 und 1838 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Romantik zuordnen. Der Schriftsteller Chamisso ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kunstgeschichte, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert hinein die Literatur, Musik, Kunst und Philosophie prägte. Auf die Literatur beschränkt betrachtet reichen die Auswirkungen der Romantik lediglich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hinein. Bis in das Jahr 1804 hinein spricht man in der Literatur von der Frühromantik, bis 1815 von der Hochromantik und bis 1848 von der Spätromantik. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Romantikern zuwider. Sie stellten sich in ihren Werken gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. In der Romantik gilt das Mittelalter als das Ideal und wird verherrlicht. Die Kunst und Architektur der Zeit des Mittelalters werden geschätzt, gepflegt und gesammelt. Übel und Missstände dieser Zeit bleiben außen vor und scheinen bei den Schriftstellern in Vergessenheit geraten zu sein. So ist die Verklärung des Mittelalters ein zentrales Merkmal der Romantik. Außerdem sind die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur und die romantische Ironie weitere zentrale Merkmale dieser Epoche. Die Grundthemen der Epoche waren Seele, Gefühle, Individualität und Leidenschaft. In der Literatur wurden diese Themen unter anderem durch Motive der Sehnsucht, Todessehnsucht, Fernweh oder Einsamkeit in der Fremde materialisiert. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über den Inhalt als auch über die Form des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die festen Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken fällt auf.

Das vorliegende Gedicht umfasst 276 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 40 Versen. Weitere Werke des Dichters Adelbert von Chamisso sind „Zweites Lied von der alten Waschfrau“, „Die alte Waschfrau“ und „Der alte Müller“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Vermächtnis“ weitere 146 Gedichte vor.

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