Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu von Joachim Ringelnatz

Die Springburn hatte festgemacht
Am Petersenkai.
Kuttel Daddeldu jumpte an Land,
Durch den Freihafen und die stille heilige Nacht
Und an dem Zollwächter vorbei.
Er schwenkte einen Bananensack in der Hand.
Damit wollte er dem Zollmann den Schädel spalten.
Wenn er es wagte, ihn anzuhalten.
Da flohen die zwei voreinander mit drohenden Reden.
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Aber auf einmal trafen sich wieder beide im König von Schweden.
 
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Daddeldus Braut liebte die Männer vom Meere,
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Denn sie stammte aus Bayern.
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Und jetzt war sie bei einer Abortfrau in der Lehre,
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Und bei ihr wollte Kuttel Daddeldu Weihnachten feiern.
 
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Im König von Schweden war Kuttel bekannt als Krakehler.
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Deswegen begrüßte der Wirt ihn freundlich: „Hallo old sailer!“
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Daddeldu liebte solch freie, herzhafte Reden,
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Deswegen beschenkte er gleich den König von Schweden.
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Er schenkte ihm Feigen und sechs Stück Kolibri
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Und sagte: „Da nimm, du Affe!“
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Daddeldu sagte nie „Sie“.
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Er hatte auch Wanzen und eine Masse
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Chinesischer Tassen für seine Braut mitgebracht.
 
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Aber nun sangen die Gäste „Stille Nacht, Heilige Nacht“,
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Und da schenkte er jedem Gast eine Tasse
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Und behielt für die Braut nur noch drei.
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Aber als er sich später mal darauf setzte,
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Gingen auch diese versehentlich noch entzwei,
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Ohne daß sich Daddeldu selber verletzte.
 
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Und ein Mädchen nannte ihn Trunkenbold
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Und schrie: er habe sie an die Beine geneckt.
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Aber Daddeldu zahlte alles in englischen Pfund in Gold.
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Und das Mädchen steckte ihm Christbaumkonfekt
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Still in die Taschen und lächelte hold
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Und goß noch Genever zu dem Gilka mit Rum in den Sekt.
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Daddeldu dacht an die wartende Braut.
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Aber es hatte nicht sein gesollt,
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Denn nun sangen sie wieder so schön und so laut.
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Und Daddeldu hatte die Wanzen noch nicht verzollt,
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Deshalb zahlte er alles in englischen Pfund in Gold.
 
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Und das war alles wie Traum.
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Plötzlich brannte der Weihnachtsbaum.
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Plötzlich brannte das Sofa und die Tapete,
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Kam eine Marmorplatte geschwirrt,
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Rannte der große Spiegel gegen den kleinen Wirt.
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Und die See ging hoch und der Wind wehte.
 
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Daddeldu wankte mit einer blutigen Nase
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(Nicht mit seiner eigenen) hinaus auf die Straße.
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Und eine höhnische Stimme hinter ihm schrie:
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„Sie Daddel Sie!“
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Und links und rechts schwirrten die Kolibri.
 
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Die Weihnachtskerzen im Pavillon an der Mattentwiete erloschen.
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Die alte Abortfrau begab sich zur Ruh.
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Draußen stand Daddeldu
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Und suchte für alle Fälle nach einem Groschen.
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Da trat aus der Tür seine Braut
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Und weinte laut:
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Warum er so spät aus Honolulu käme?
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Ob er sich gar nicht mehr schäme?
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Und klappte die Tür wieder zu.
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An der Tür stand: „Für Damen“.
 
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Es dämmerte langsam. Die ersten Kunden kamen,
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Und stolperten über den schlafenden Daddeldu.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.9 KB)

Details zum Gedicht „Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
63
Anzahl Wörter
434
Entstehungsjahr
1924
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu“ ist von Joachim Ringelnatz, einem bedeutenden Vertreter der literarischen Strömung des Expressionismus. Ringelnatz wurde 1883 geboren und starb 1934, daher kann das Gedicht in die Zeit des frühen 20. Jahrhunderts eingeordnet werden.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht humorvoll und komisch, aber gleichzeitig auch tragisch. Es beschreibt die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu, der nach einer Schiffsreise am Hafen ankommt und sich seiner Freundin und der bevorstehenden Feier in einem Pub zuwendet.

Die Hauptperson des Gedichts, Kuttel Daddeldu, ist ein charakterstarker, eigenwilliger Seemann, der sich mit rauer Seemannssprache Gehör verschafft. Er präsentiert sich wenig respektvoll gegenüber Autorität, beispielsweise dem Zollwächter am Hafen. Trotz seiner defensiven Haltung ist Daddeldu belebt von der Weihnachtsstimmung und verschenkt seine Mitbringsel großzügig.

Sprachlich dominiert im Gedicht eine Mischung aus Hochdeutsch und Seemannsjargon, was dem Ganzen eine skurrile und humorvolle Atmosphäre verleiht. Formal gesehen präsentiert sich das Gedicht in verschiedenen Strophenformen und weicht damit von der traditionellen lyrischen Form ab. Es folgt keinem festen Reimschema oder Metrum.

Der Seemann Kuttel Daddeldu scheint einerseits den traditionellen Feierlichkeiten und Erwartungen zu entsprechen – er bringt Geschenke mit und feiert Weihnachten in einem Pub -, andererseits sprengen sein übermäßiger Alkoholkonsum und sein rüpelhaftes Verhalten die gesellschaftlichen Normen. So endet der Abend in Chaos und Gewalt, wobei Daddeldu eine blutige Nase (allerdings nicht seine eigene) davonträgt.

Trotz aller Feierlichkeiten und Geschenke bleibt Kuttel Daddeldu letztlich allein und schläft auf der Straße. Seine Freundin ist über seine späte Ankunft und sein Benehmen enttäuscht und schließt ihn aus. Somit gibt das Gedicht auch einen tragischen Einblick in das Leben des Seemanns, der trotz seiner Bemühungen am Ende isoliert ist.

Abschließend kann man sagen, dass das Gedicht eine Art Parodie auf das typische Weihnachtsfest darstellt, indem es die feierliche Stimmung und die konventionellen Normen durch die Figur des Seemanns Kuttel Daddeldu hinterfragt und untergräbt.

Weitere Informationen

Joachim Ringelnatz ist der Autor des Gedichtes „Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu“. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Im Jahr 1924 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist München. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Moderne oder Expressionismus zugeordnet werden. Ringelnatz ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 63 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 434 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joachim Ringelnatz sind „Abschiedsworte an Pellka“, „Afrikanisches Duell“ und „Alone“. Zum Autor des Gedichtes „Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu“ haben wir auf abi-pur.de weitere 560 Gedichte veröffentlicht.

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