Die Wassernymphe von Johann Gottfried Herder

Flattre, flattr’ um deine Quelle,
Kleine farbige Libelle,
Zarter Faden, zartbeschwingt.
Flieg’ auf deinen hellen Flügeln,
Auf der Sonne blauen Spiegeln,
Bis dein Flug auch niedersinkt.
 
Deine längsten Lebenstage,
Fern der Freude, frei von Plage,
Hast du, Gute, schon gelebt.
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Als dich Wellen noch umflossen,
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Als dich Hüllen noch umschlossen,
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Waren sie dir leicht gewebt.
 
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Jetzt nach deinem Nymphenleben
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Darfst du als Sylphide schweben,
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Wieweit dich der Zephyr trug.
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Und du eilst mit muntern Kräften
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Nur zu fröhlichen Geschäften:
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Deine Liebe selbst ist Flug.
 
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Flattre, flattr’ um deine Quelle,
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Kleine sterbliche Libelle,
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Um dein Grab und Vaterland.
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Eben in dem frohsten Stande
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Fliegst du an des Lebens Rande;
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Ist das meine mehr als Rand?
 
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Einst wie dir wird deinen Kleinen
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Auch die Sommersonne scheinen,
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Gib der Quelle sie als Zoll.
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Und erstirb; die matten Glieder
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Seh ich, welken dir danieder:
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Schöne Nymphe, lebe wohl.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Die Wassernymphe“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
144
Entstehungsjahr
1787
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Wassernymphe“ ist von Johann Gottfried Herder, einem deutschen Dichter, Theologen und Philosophen, der von 1744 bis 1803 lebte. Damit entstammt das Gedicht der literarischen Epoche der Aufklärung und der Anfänge der Weimarer Klassik.

Beim ersten Lesen erzeugt das Gedicht einen naturverbundenen und melancholischen Eindruck. Es scheint um den kurzen Lebenszyklus einer Libelle und der damit verbundenen Vergänglichkeit zu handeln. Die Worte sind liebevoll, sanft und poetisch, mit einer zugleich besinnlichen und nachdenklichen Atmosphäre.

Das Gedicht erzählt von der evolutionären Metamorphose einer Libelle, vom Wasserinsekt zur Fluginsekt. Sie flattert fröhlich um ihre Geburtsstätte, zu einem Ort frei von Kummer, wo sie die längsten Tage ihres Lebens verbracht hat. Nun, da sie als fliegende Libelle existiert, ist selbst ihre Liebe ein Flug. Dennoch steht sie am Rande des Lebens, der Tod ist nahe. Der Zyklus schließt sich, wenn sie ihre Nachkommen zur Welt bringt und schließlich stirbt.

Mit den Worten „Ist das meine mehr als Rand?“ lässt der Autor das lyrische Ich seine eigene Existenz hinterfragen. Vielleicht bezieht sich diese Frage auf die Vorstellungen von Sterblichkeit und Vergänglichkeit, indem sie die kurze Existenz der Libelle mit dem eigenen Leben vergleicht. Die letzten Verse des Gedichts führen diese melancholische Betrachtung fort mit einem Abschied von dem sterbenden Tier: „Schöne Nymphe, lebe wohl.„

Das Gedicht besteht aus fünf gleichgroßen Strophen mit jeweils sechs Versen. Die Sprache ist einfühlsam und malerisch und die Naturbeobachtungen sind bildreich. Es gibt eine klare Struktur und Wiederholungen, wie das wiederholte „Flattre, flattr’ um deine Quelle“ in der ersten und vierten Strophe. Diese Wiederholungen sorgen für eine rhythmische Konsistenz und geben dem Gedicht einen Refrain-artigen Charakter.

Obwohl das Gedicht im Kontext seiner Zeit gesehen werden kann, kann es auch als metaphorische Reflexion über die menschliche Existenz gesehen werden. Es ruft uns dazu auf, die Schönheit und Vergänglichkeit unseres eigenen Lebens zu feiern und zu respektieren. Außerdem betont der Text die wichtige Rolle, die wir in der Kontinuität des Lebens spiele, ein Gedanke, der sicherlich heute genauso relevant ist wie zu Herders Zeiten.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Die Wassernymphe“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. Im Jahr 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Im Jahr 1787 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Gotha. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Epochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Jugend- und Protestbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Bei den Schriftstellern handelte es sich meist um Autoren jüngeren Alters. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. Die Schriftsteller versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Schiller, Goethe und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Zwei sich deutlich unterscheidende Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit der Italienreise Goethes im Jahr 1786 und endete mit dem Tod von Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1832. Das Zentrum dieser Literaturepoche lag in Weimar. Es sind sowohl die Bezeichnungen Klassik als auch Weimarer Klassik gebräuchlich. Statt auf Konfrontation und Widerspruch wie noch in der Aufklärung oder im Sturm und Drang strebte die Klassik nach Harmonie. Die wichtigsten Werte sind Toleranz und Menschlichkeit. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ziel der Literaturepoche der Klassik war es die ästhetische Erziehung des Menschen zu einer „charakterschönen“ Persönlichkeit voranzutreiben. Kennzeichnend ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal der Literaturepoche des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl. Die Autoren haben in der Weimarer Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Schiller, Goethe, Herder und Wieland bildeten das „Viergestirn“ der Weimarer Klassik. Es gab natürlich auch noch andere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das vorliegende Gedicht umfasst 144 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 30 Versen. Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „An den Schlaf“, „An die Freundschaft“ und „Apollo“. Zum Autor des Gedichtes „Die Wassernymphe“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

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