Die Waldbeerfrau von Heinrich Kämpchen
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Seit Jahren kam stets in der Waldbeerzeit |
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Tief aus den Ruhrabergen eine Frau |
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Den stundenweiten Weg her bis zu uns. |
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An beiden Armen trug sie schwer die Last |
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Der würz’gen Waldesfrucht im Henkelkorb, |
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Zum dürftigen Verkaufe Tag um Tag. |
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So lang’ die Ernte anhielt und die Frucht |
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Durch Regenfall nicht schon zuvor verdarb, |
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Kam auch mit ihrem Korb die Händlerin. – |
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Die Waldbeerfrau, so wurde sie genannt, |
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War eine Bergmannswittib und ihr Mann |
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Im Schacht erschlagen bei der Sprengarbeit. – |
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Acht Kinder blieben vaterlos zurück, |
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Gesund und hungrig – und sie hat die acht |
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Ernährt und großgezogen – wack’res Weib! |
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Vier Ziegen halfen ihr dabei, der Wald |
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Gab Streu und Futter reichlich und noch mehr |
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An Holz und Pilzen und an Beerenobst. – |
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So ging’s und hat sie fertig es gebracht, |
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Ich sag’ es war ein Weib, wie’s wen’ge gibt, |
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Die Kinder groß zu zieh’n in Zucht und Ehr’. – |
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Nun ist sie tot, die wack’re Waldbeerfrau, |
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Die uns so oft bei heißem Sommertag |
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Geletzet hat mit ihrer würz’gen Frucht. – |
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Und seh’ ich jetzt, ’s ist wieder Beerenzeit, |
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Die Frauen zieh’n mit schwerem Henkelkorb |
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Tief aus den Ruhrabergen her zu uns – |
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So denk’ ich deiner, braune Annelies, |
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Und wähne wieder dich vor mir zu seh’n, |
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So prall und nett, wie ich dich damals sah’. – |
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Erinnerung malt meinem Aug’ dein Bild – |
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Du aber schläfst auf grünem Waldkirchhof |
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Den langen Schlaf – und dir ist wohl, ganz wohl. |
Details zum Gedicht „Die Waldbeerfrau“
Heinrich Kämpchen
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33
239
1909
Moderne
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht ist von Heinrich Kämpchen, einem deutschen Schriftsteller, der von 1847 bis 1912 lebte. Zeitlich ist das Werk demnach in die Epoche des Naturalismus einzuordnen.
Auf den ersten Blick scheint das Gedicht die einfache Geschichte einer arbeitenden Frau aus dem ländlichen Raum zu erzählen. Die Titelfigur, die „Waldbeerfrau“, wird als Tag für Tag wiederkehrende Erscheinung in der „Waldbeerzeit“ eingeführt, welche mühsam ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Waldbeeren verdient.
Das lyrische Ich erzählt ihre Geschichte: Sie ist eine Bergmannswitwe und Mutter von acht Kindern, die sie nach dem Tod ihres Mannes allein großgezogen hat. Hier wird die unglaubliche Stärke und Belastbarkeit der „Waldbeerfrau“ hervorgehoben, die trotz widriger Umstände ihre Kinder „in Zucht und Ehr“ erzog.
In der zweiten Hälfte des Gedichts wird offenbart, dass die „Waldbeerfrau“ verstorben ist. Doch ihre Präsenz ist immer noch stark und wird besonders in der „Beerenzeit“ zur Erinnerung an sie. Das Gedicht endet mit der Vorstellung ihres Grabes in einem „grünen Waldkirchhof“.
In Bezug auf Form und Sprache ist das Gedicht recht einfach gehalten. Es besteht aus einer einzigen Strophe mit 33 Versen. Der Versfuß ist überwiegend jambisch, wodurch ein ruhiger, gleichmäßiger Rhythmus entsteht. Die Sprache ist schlicht und gut verständlich.
Insgesamt ist das Gedicht eine Hommage an die erschöpfte, aber unerbittliche Energie von Arbeiterinnen, die gegen schwere Widerstände ankämpfen, um ihre Familien zu ernähren und aufzuziehen. Der Bewunderung des lyrischen Ichs für die „Waldbeerfrau“ und die beinahe heilige Aura, die sie umgibt, steht die Realität ihrer harten Lebensbedingungen gegenüber. Sie wird zur gleichsam erhabenen wie tragischen Gestalt, deren Leben und Tod das lyrische Ich tief bewegt hat.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Waldbeerfrau“ des Autors Heinrich Kämpchen. Im Jahr 1847 wurde Kämpchen in Altendorf an der Ruhr geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1909. Bochum ist der Erscheinungsort des Textes. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Die Richtigkeit der Epoche sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das Gedicht besteht aus 33 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 239 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Kämpchen sind „Am Gemündener Maar“, „Am Grabe der Mutter“ und „Am Kochbrunnen in Wiesbaden“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Waldbeerfrau“ weitere 165 Gedichte vor.
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