Die Vorstadt von Georg Heym
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In ihrem Viertel, in dem Gassenkot, |
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Wo sich der große Mond durch Dünste drängt, |
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Und sinkend an dem niedern Himmel hängt, |
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Ein ungeheurer Schädel, weiß und tot, |
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Da sitzen sie die warme Sommernacht |
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Vor ihrer Höhlen schwarzer Unterwelt, |
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Im Lumpenzeuge, das vor Staub zerfällt |
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Und aufgeblähte Leiber sehen macht. |
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Hier klafft ein Maul, das zahnlos auf sich reißt. |
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Hier hebt sich zweier Arme schwarzer Stumpf. |
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Ein Irrer lallt die hohlen Lieder dumpf, |
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Wo hockt ein Greis, des Schädel Aussatz weißt. |
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Es spielen Kinder, denen früh man brach |
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Die Gliederchen. Sie springen an den Krücken |
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Wie Flöhe weit und humpeln voll Entzücken |
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Um einen Pfennig einem Fremden nach. |
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Aus einem Keller kommt ein Fischgeruch, |
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Wo Bettler starren auf die Gräten böse. |
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Sie füttern einen Blinden mit Gekröse. |
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Er speit es auf das schwarze Hemdentuch. |
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Bei alten Weibern löschen ihre Lust |
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Die Greise unten, trüb im Lampenschimmer, |
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Aus morschen Wiegen schallt das Schreien immer |
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Der magren Kinder nach der welken Brust. |
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Ein Blinder dreht auf schwarzem, großem Bette |
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Den Leierkasten zu der Carmagnole, |
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Die tanzt ein Lahmer mit verbundener Sohle. |
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Hell klappert in der Hand die Castagnette. |
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Uraltes Volk schwankt aus den tiefen Löchern, |
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An ihre Stirn Laternen vorgebunden. |
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Bergmännern gleich, die alten Vagabunden. |
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Um einen Stock die Hände, dürr und knöchern. |
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Auf Morgen geht’s. Die hellen Glöckchen wimmern |
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Zur Armesündermette durch die Nacht. |
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Ein Tor geht auf. In seinem Dunkel schimmern |
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Eunuchenköpfe, faltig und verwacht. |
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Vor steilen Stufen schwankt des Wirtes Fahne, |
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Ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen. |
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Man sieht die Schläfer ruhn, wo sie gebrochen |
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Um sich herum die höllischen Arkane. |
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Am Mauertor, in Krüppeleitelkeit |
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Bläht sich ein Zwerg in rotem Seidenrocke, |
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Er schaut hinauf zur grünen Himmelsglocke, |
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Wo lautlos ziehn die Meteore weit. |
Details zum Gedicht „Die Vorstadt“
Georg Heym
11
44
285
1911
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Georg Heym ist der Autor des Gedichtes „Die Vorstadt“. Im Jahr 1887 wurde Heym in Hirschberg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1911 entstanden. In Leipzig ist der Text erschienen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Expressionismus zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Heym handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 44 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 285 Worte. Weitere Werke des Dichters Georg Heym sind „Der Blinde“, „Der Fliegende Holländer“ und „Der Gott der Stadt“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Vorstadt“ weitere 76 Gedichte vor.
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