Die Verzagten von Paul Haller

Sah in düstern Waldbereichen
Meiner Heimat Nebel schleichen,
Und das Herz war tot und kalt.
Fühlte mich so ganz verlassen,
Ging durch öde Tannengassen
Wie ein Pilger müd und alt.
 
Wo die Nebel stürmisch flogen,
Kam’s wie Menschen hergezogen,
Schleppgewandig, lang und grau.
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Gingen, tief gesenkt die Köpfe,
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Armer lebensmüder Tröpfe
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Eine bittre Elendsschau.
 
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Sprach der eine, den ich fragte:
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Wir sind an uns selbst Verzagte;
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Was wir suchen, weiß ich nicht.
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Suchen, was wir nie besessen;
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Heut das Morgen zu vergessen,
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Hängen wir das Angesicht.
 
19 
Wimmernd kam’s aus langen Reihen
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Wie ein Schluchzen, wie ein Schreien:
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Was wir suchen, weiß ich nicht.
22 
Suchen, was wir nie besessen;
23 
Heut, das Morgen zu vergessen,
24 
Hängen wir das Angesicht.
 
25 
Seltsam wie ein Niegehörtes,
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Traulich wie ein Längstbegehrtes
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Rührte mich der Klageton.
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Grauer zogen sie und trüber
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Zahl- und namenlos vorüber,
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Grüßten mich als Freunde schon.
 
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Als aus fernen Nebeltiefen
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Dumpfgeheime Stimmen riefen,
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Hob sich rascher Fuß und Bein.
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Wild begann mein Herz zu schlagen,
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Und ich trat mit scheuem Wagen
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In den Jammerzug hinein.
 
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Da, ein brüderlich Umschlingen
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Und ein traurig Jubelsingen
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Um den heimgefundnen Sohn.
40 
Hob dann selbst die müde Stimme,
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Sang wie sie in weichem Grimme
42 
Den geliebten Klageton.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Die Verzagten“

Autor
Paul Haller
Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
201
Entstehungsjahr
nach 1898
Epoche
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht trägt den Titel „Die Verzagten“ und wurde von Paul Haller verfasst, der von 1882 bis 1920 lebte. Damit ist das Gedicht in die Epoche des frühen 20. Jahrhunderts einzuordnen, was eine Zeit großer Umbrüche und gesellschaftlicher Veränderungen war.

Der erste Eindruck des Gedichts hinterlässt eine Melancholie und Schwermut, die durch die düstere und traurige Szenerie hervorgerufen wird. Es scheint sich um eine Art geistige Pilgerfahrt oder Innenschau zu handeln, bei der das lyrische Ich eine tiefe existenzielle Verzweiflung und desorientierte Suche nach Bedeutung zum Ausdruck bringt.

Das Gedicht erzählt die Geschichte eines lyrischen Ichs, das durch einen düsteren und nebligen Wald wandert und auf eine Gruppe vergeblich Suchender trifft, die sich als die „Verzagten“ beschreiben. Sie sind des Lebens müde und ziehen in einer Art traurigen Prozession durch die Landschaft - auf der Suche nach etwas, das sie selbst nicht genau benennen können. Diese Einsamkeit und Verzweiflung infiziert das lyrische Ich, das sich in diese Prozession der Hoffnungslosigkeit einreiht und sich Teil dieser Gruppe fühlt.

Das lyrische Ich scheint eine tiefe Verbundenheit und Identifikation mit den Verzagten zu empfinden, was den Eindruck vermittelt, dass es selbst sich in einer ähnlichen Lebenskrise befindet. Dieses Thema der existenziellen Suche, der Resignation und Verzweiflung ist typisch für die Zeit des frühen 20. Jahrhunderts, in der viele Menschen durch die schnellen gesellschaftlichen Umbrüche und die Brutalität des Ersten Weltkriegs desillusioniert waren.

Hinsichtlich der Form und der Sprache lässt sich sagen, dass das Gedicht eine sehr metrisch geregelte und reime Betonung aufweist, die durch eine eher archaische und formelle Sprache gekennzeichnet ist. Es besteht aus sieben sechszeiligen Strophen, die alle die gleiche Reimstruktur folgen. Diese traditionelle Form geht Hand in Hand mit der schweren, fast gotischen Atmosphäre, die durch die düsteren Landschaftsbeschreibungen und die triste Stimmung der Verzagten hervorgerufen wird. Die Sprache ist bildreich und voller Metaphern, die den existenziellen Schmerz und die tiefe Sehnsucht des lyrischen Ichs durchdringend ausdrücken.

Weitere Informationen

Paul Haller ist der Autor des Gedichtes „Die Verzagten“. Geboren wurde Haller im Jahr 1882 in Rein bei Brugg. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1898 und 1920. Aarau ist der Erscheinungsort des Textes. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Naturalismus zu. Bei Haller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 42 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 201 Worte. Weitere Werke des Dichters Paul Haller sind „Abend“, „Abseits (Haller)“ und „Adie Wält“. Zum Autor des Gedichtes „Die Verzagten“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 65 Gedichte vor.

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