Die Versuchung von Rainer Maria Rilke

Nein, es half nicht, daß er sich die scharfen
Stacheln einhieb in das geile Fleisch;
alle seine trächtigen Sinne warfen
unter kreißendem Gekreisch
 
Frühgeburten: schiefe, hingeschielte
kriechende und fliegende Gesichte,
Nichte, deren nur auf ihn erpichte
Bosheit sich verband und mit ihm spielte.
 
Und schon hatten seine Sinne Enkel;
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denn das Pack war fruchtbar in der Nacht
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und in immer bunterem Gesprenkel
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hingehudelt und verhundertfacht.
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Aus dem Ganzen ward ein Trank gemacht:
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seine Hände griffen lauter Henkel,
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und der Schatten schob sich auf wie Schenkel
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warm und zu Umarmungen erwacht —.
 
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Und da schrie er nach dem Engel, schrie:
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Und der Engel kam in seinem Schein
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und war da: und jagte sie
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wieder in den Heiligen hinein,
 
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daß er mit Geteufel und Getier
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in sich weiterringe wie seit Jahren
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und sich Gott, den lange noch nicht klaren,
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innen aus dem Jäsen destillier.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.8 KB)

Details zum Gedicht „Die Versuchung“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
141
Entstehungsjahr
1918
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Versuchung“ stammt von dem österreichisch-böhmischen Lyriker und Erzähler Rainer Maria Rilke, welcher von 1875 bis 1926 lebte. Rilke zählt zu den bedeutendsten Lyrikern deutscher Sprache. Er kann der Epoche des Spät-Expressionismus und der literarischen Moderne des frühen 20. Jahrhunderts zugeordnet werden.

Beim ersten Lesen des Gedichts wird deutlich, dass sich Rilke thematisch mit einer inneren Auseinandersetzung, gekennzeichnet von starken und verwirrenden Gefühlen, beschäftigt. Das Gedicht ist voller bildhafter und metaphernreicher Sprache, die auf tief gehende Emotionen und einen Konflikt hinweisen.

Das lyrische Ich beschreibt einen inneren Kampf, welcher durch die Versuchung repräsentiert wird. Durch das Einhämmern von Stacheln in das eigene Fleisch versucht das lyrische Ich, dieser Versuchung zu widerstehen, doch es scheint sie nur noch präsenter zu machen. Die gepeinigten Sinne werden als trächtig beschrieben, was suggeriert, dass sie fruchtbar und produktiv sind und bizarre, verzerrte und bedrohliche Vorstellungen hervorbringen. Weiterhin scheint das lyrische Ich sich selbst zu bestrafen und zu quälen, doch ruft es schließlich nach einem Engel, der dieses innere Ringen beenden soll.

Die Form des Gedichts ist in fünf vierzeilige Strophen gegliedert, wobei die dritte Strophe acht Verse umfasst. Insgesamt besteht das Gedicht aus 24 Versen. Die Reimschemen variieren jedoch von Strophe zu Strophe, was zu der Unberechenbarkeit des bisher Bestehenden und zur chaotischen, verwirrenden Atmosphäre des Gedichts beiträgt.

Die Sprache des Gedichts ist geprägt von sinnbildlicher und bildhafter Ausdrucksweise. Es finden sich zahlreiche Metaphern und Vergleiche, die die Intensität und Virulenz des inneren Konflikts veranschaulichen. Die Wortwahl ist durchweg drastisch und intensiv, was eine Atmosphäre von Qual, Verzweiflung und auch Schrecken erzeugt.

Zusammenfassend interpretiert bietet das Gedicht „Die Versuchung“ einen tiefen Einblick in eine innere Zerrissenheit und den damit verbundenen Kampf gegen die eigenen Dämonen und Versuchungen - ein für Rilke durchaus typisches Motiv. Das lyrische Ich befindet sich in einem scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die eigenen inneren Kräfte und sucht verzweifelt Halt und Erlösung.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Versuchung“ ist Rainer Maria Rilke. Im Jahr 1875 wurde Rilke in Prag geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1918. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Der Schriftsteller Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 141 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere Werke des Dichters Rainer Maria Rilke sind „Abend“, „Abend“ und „Abend“. Zum Autor des Gedichtes „Die Versuchung“ haben wir auf abi-pur.de weitere 338 Gedichte veröffentlicht.

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