Die Vergänglichkeit von Johann Peter Hebel

Gespräch auf der Straße nach Basel zwischen Steinen und Brombach, in der Nacht

Der Bub seit zum Aetti:
 
Fast allmol, Aetti, wenn mer’s Röttler Schloß
so vor den Auge stoht, se denki dra,
öbs üsem Hus echt au e mol so goht.
Stohts denn nit dört, so schuderig, wie der Tod
im Basler Todtetanz? Es gruset mer,
wie länger aßi ’s bschau. Und üser Hus,
es sizt jo wie ne Chilchli uffem Berg,
und d’Fenster glitzeren, es isch e Staat.
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Schwetz Aetti, gohts em echterst au no so?
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I mein emol, es chönn schier gar nit sy.
 
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Der Aetti seit:
 
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Du gute Burst, ’s cha frili sy, was meinsch?
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’s chunnt alles jung und neu, und alles schlicht
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im Alter zu, und alles nimmt en End,
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und nüt stoht still. Hörsch nit, wie ’s Wasser ruuscht,
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und siehsch am Himmel obe Stern an Stern?
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Me meint, vo alle rühr si kein, und doch
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ruckt alles witers, alles chunnt und goht.
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Je, ’s isch nit anderst, lueg mi a, wie d’witt.
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De bisch no jung; uärsch, i bi au so gsi,
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jezt würds mer änderst, ’s Alter, ’s Alter chunnt,
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und woni gang, go Gresgen oder Wies,
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in Feld und Wald, go Basel oder heim,
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's isch einerley, i gang im Chilchhof zu, –
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briegg, alder nit! – und bis de bisch wien ich,
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e gstandene Ma, se bini nümme do,
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und d’Schof und Geiße weide uf mi’m Grab.
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Jo wegerli, und ’s Hus wird alt und wüst;
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der Rege wäscht der’s wüster alli Nacht,
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und d’Sunne bleicht der’s schwärzer alli Tag,
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und im Vertäfer popperet der Wurm.
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Es regnet no dur d’Bühne ab, es pfift
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der Wind dur d’Chlimse. Drüber thuesch du au
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no d’Auge zu; es chömme Chindes-Chind,
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und pletze dra. Z’lezt fuults im Fundement,
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und ’s hilft nüt me. Und wemme nootno gar
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zweytusig zehlt, isch alles zsemme g’keit.
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Und endli sinkt ’s ganz Dörfli in si Grab.
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Wo d’Chilche stoht, wo ’s Vogts und ’s Here Hus,
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goht mit der Zit der Pflug –
 
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Der Bueb seit:
 
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Nei, was de seisch!
 
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Der Aetti seit:
 
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Je, ’s isch nit anderst, lueg mi a, wie d’witt!
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Isch Basel nit e schöni tolli Stadt?
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’s sin Hüser drinn, ’s isch mengi Chilche nit
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so groß, und Chilche, ’s sin in mengem Dorf
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nit so viel Hüser. ’s isch e Volchspiel, ’s wohnt
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e Richthum drinn, und menge brave Her,
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und menge, woni gchennt ha, lit scho lang
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im Chrütz-Gang hinterm Münster-Platz und schloft.
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’s isch eithue, Chind, es schlacht e mol e Stund,
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goht Basel au ins Grab, und streckt no do
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und dört e Glied zum Boden us, e Joch,
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en alte Thurn, e Giebel-Wand; es wachst
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do Holder druf, do Büechli, Tanne dört,
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und Moos und Farn, und Reiger sitze druf –
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’s isch schad derfür! – und sin bis dörthi d’Lüt
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so närsch wie jez, se göhn au Gspenster um,
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der Sulger, wo die arme Bettel-Lüt
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vergelstert het, der Lippi Läppeli,
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und was weis ich, wer meh. Was stoßisch mi?
 
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Der Bub seit:
 
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Schwetz lisli Aetti, bis mer über d’Bruck
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do sin, und do an Berg und Wald verbey!
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Dört obe jagt e wilde Jäger, weisch?
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Und lueg, do niden in de Hürste seig
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gwiß ’s Eyer-Meidli g’lege, halber ful,
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's isch Johr und Tag. Hörsch, wie der Laubi schnuft?
 
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Der Aetti seit:
 
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Er het der Pfnüsel! Seig doch nit so närsch!
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Hüst Laubi, Merz! – und loß die Todte go,
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’s sin Nare-Posse! – Je, was hani gseit?
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Vo Basel, aß es au emol verfallt. –
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Und goht in langer Zit e Wanders-Ma
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ne halbi Stund, e Stund wit dra verbey,
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se luegt er dure, lit ke Nebel druf,
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und seit si’m Camerad, wo mittem goht:
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„Lueg, dört isch Basel gstande! Selle Thurn
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isch d’ Peters-Chilche gsi, ’s isch schad derfür!“
 
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Der Bub seit:
 
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Nei Aetti, ischs der Ernst, es cha nit sy?
 
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Der Aetti seit:
 
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Je ’s isch nit anderst, lueg mi a, wie d’ witt,
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und mit der Zit verbrennt di ganzi Welt.
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Es goht e Wächter us um Mitternacht,
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e fremde Ma, me weiß nit, wer er isch,
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er funklet, wie ne Stern, und rüeft „Wacht auf!
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Wacht auf, es kommt der Tag!“ – Drob röthet si
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der Himmel, und es dundert überal,
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z’erst heimli; alsgmach lut, wie sellemol
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wo Anno Sechsenünzgi der Franzos
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so uding gschoße het. Der Bode wankt,
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aß d’ Chilch-Thürn guge; d’ Glocke schlagen a,
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und lüte selber Bet-Zit wit und breit,
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und alles betet. Drüber chunnt der Tag;
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o, bhütis Gott, me brucht ke Sunn derzu,
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der Himmel stoht im Blitz, und d’ Welt im Glast.
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Druf gschieht no viel, i ha jez nit der Zit;
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und endli zündets a, und brennt und brennt,
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wo Boden isch, und niemes löscht. Es glumst
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zlezt selber ab. Wie meinsch, siehts us derno?
 
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Der Bub seit:
 
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O Aetti, sag mer nüt me! Zwor wie gohts
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de Lüte denn, wenn alles brennt und brennt?
 
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Der Aetti seit:
 
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Närsch, d’Lüt sin nümme do, wenns brennt, sie sin –
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wo sin sie? Seig du frumm, und halt di wohl,
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geb, wo de bisch, und bhalt di Gwisse rein!
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Siehsch nit, wie d’Luft mit schöne Sterne prangt!
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’s isch jede Stern verglichlige ne Dorf,
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und witer oben isch e schöni Stadt,
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me sieht sie nit vo do, und haltsch di gut,
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se chunnsch in so ne Stern, und ’s isch der wohl,
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und findsch der Aetti dört, wenn’s Gottswill isch,
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und ’s Chüngi selig, d’ Mutter. Oebbe fahrsch
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au d’ Milchstroß uf in die verborgeni Stadt,
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und wenn de sitwärts abe luegsch, was siehsch?
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e Röttler Schloß! Der Belche stoht verchohlt,
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der Blauen au, äs wie zwee alti Thürn,
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und zwische drinn isch alles use brennt,
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bis tief in Boden abe. D’Wiese het
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ke Wasser meh, ’s isch alles öd und schwarz,
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und todtestill, so wit me luegt – das siehsch,
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und seisch di’m Cammerad, wo mitder goht
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„Lueg, dört isch d'Erde gsi, und selle Berg
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„het Belche gheiße! Nit gar wit dervo
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„isch Wisleth gsi, dört hani au scho glebt,
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„und Stiere g’ wettet, Holz go Basel gführt,
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„und brochet, Matte g’raust, und Liecht-Spöh’ g’macht,
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„und gvätterlet, biß an mi selig End,
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„und möcht jez nümme hi.“ – Hüst Laubi, Merz!

Details zum Gedicht „Die Vergänglichkeit“

Anzahl Strophen
20
Anzahl Verse
133
Anzahl Wörter
1039
Entstehungsjahr
1803
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Johann Peter Hebel, ein deutscher Schriftsteller und Prediger, geboren am 10. Mai 1760 und gestorben am 22. September 1826. Das Gedicht, geschrieben auf Alemannisch, trägt den Titel „Die Vergänglichkeit“.

Beim ersten Lesen wirkt das Gedicht lang, tiefgründig und intensiv. Es ist in einer Konversation zwischen einem alten Mann, dem „Aetti“, und einem jungen Buben strukturiert. Die Unterhaltung dreht sich um die Vergänglichkeit des Lebens und der Welt, und um die ewige Bewegung der Zeit.

Der Inhalt kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Das lyrische Ich, der Bub, beginnt das Gespräch mit einer Beobachtung über das Alter des Röttler Schloßes. Er fragt, ob auch das Haus seiner Familie eines Tages so enden wird. Der Aetti bestätigt dies und erklärt, dass alles, was neu und jung beginnt, alt wird und endet - nichts bleibt still. Auch Basel, eine lebendige Stadt, wird eines Tages verfallen. Er betont, dass letztendlich die ganze Welt verbrennen wird. Der Bub ist von diesen Aussagen sichtlich beunruhigt, doch der Aetti beruhigt ihn und erinnert ihn an die unzähligen Sterne am Himmel - diese repräsentieren seiner Meinung nach andere Welten, in denen man nach dem Tod wohnen könnte.

Angesichts der Sprache und Form lässt sich sagen, dass Hebel in diesem Gedicht ein starkes alemannisches Dialekt und eine ungewöhnliche Struktur verwendet, indem er es als Dialog konzipiert. Das Gedicht besteht aus einer großen Anzahl von Strophen, die jeweils eine oder mehrere Verse enthalten, und ist sehr dialogisch, wobei der Großteil der Verse im direkten Sprechen des Aetti und des Buben gesetzt ist. Die Sprache ist trotz ihres dialektischen Charakters reich an Bildern, und Hebel nutzt diese, um das dramatische Ende der Welt und die ewige Bewegung der Zeit zu illustrieren.

Insgesamt ist dieses Gedicht eine tiefgründige Betrachtung der Vergänglichkeit des Lebens und der Welt und eine Erinnerung an die ewige Bewegung der Zeit. Hebel greift auf eine lebhafte, bildhafte Sprache und eine ungewöhnliche Struktur zurück, um diese Konzepte auf eine Weise darzustellen, die sowohl eindrucksvoll als auch tief berührend ist.

Weitere Informationen

Johann Peter Hebel ist der Autor des Gedichtes „Die Vergänglichkeit“. Im Jahr 1760 wurde Hebel in Basel geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1803 zurück. In Karlsruhe ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Klassik oder Romantik zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das Gedicht besteht aus 133 Versen mit insgesamt 20 Strophen und umfasst dabei 1039 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Peter Hebel sind „An Herrn Geheimerath v. Ittner“, „Auf den Tod eines Zechers“ und „Auf einem Grabe“. Zum Autor des Gedichtes „Die Vergänglichkeit“ haben wir auf abi-pur.de weitere 60 Gedichte veröffentlicht.

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