Die Tote im Wasser von Georg Heym

Die Masten ragen an dem grauen Wall
Wie ein verbrannter Wald ins frühe Rot,
So schwarz wie Schlacke. Wo das Wasser tot
Zu Speichern stiert, die morsch und im Verfall.
 
Dumpf tönt der Schall, da wiederkehrt die Flut
Den Kai entlang. Der Stadtnacht Spülicht treibt
Wie eine weiße Haut im Strom und reibt
Sich an dem Dampfer, der im Docke ruht.
 
Staub, Obst, Papier, in einer dicken Schicht,
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So treibt der Kot aus seinen Röhren ganz.
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Ein weißes Tanzkleid kommt, in fettem Glanz
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Ein nackter Hals und bleiweiß ein Gesicht.
 
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Die Leiche wälzt sich ganz heraus. Es bläht
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Das Kleid sich wie ein weißes Schiff im Wind.
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Die toten Augen starren groß und blind
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Zum Himmel, der voll rosa Wolken steht.
 
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Das lila Wasser bebt von kleiner Welle.
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– Der Wasserratten Fährte, die bemannen
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Das weiße Schiff. Nun treibt es stolz von dannen,
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Voll grauer Köpfe und voll schwarzer Felle.
 
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Die Tote segelt froh hinaus, gerissen
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Von Wind und Flut. Ihr dicker Bauch entragt
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Dem Wasser groß, zerhöhlt und fast zernagt.
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Wie eine Grotte dröhnt er von den Bissen.
 
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Sie treibt ins Meer. Ihr salutiert Neptun
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Von einem Wrack, da sie das Meer verschlingt,
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Darinnen sie zur grünen Tiefe sinkt,
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Im Arm der feisten Kraken auszuruhn.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.2 KB)

Details zum Gedicht „Die Tote im Wasser“

Autor
Georg Heym
Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
205
Entstehungsjahr
1911
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt von dem deutschen Dichter Georg Heym, der von 1887-1912 lebte. Heym war ein wichtiger Vertreter des Expressionismus. Damit lässt sich das Gedicht in die Zeit des frühen 20. Jahrhunderts einordnen.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht düster und trist, es beschreibt eine ungemütliche und düstere Szenerie und kreist um den Tod, genauer gesagt um eine im Wasser treibende Leiche.

Inhaltlich handelt das Gedicht von der Reise einer toten Frau, die in einem Hafen gefunden und schließlich vom Strom ins Meer gezogen wird. Der Tod und die Vergänglichkeit stehen hier im Zentrum. Die Tote erscheint dabei als etwas völlig Natürliches, der Tod ist Teil des Lebenszyklus und wird hier weder romantisiert noch besonders hervorgehoben.

Der Autor zeichnet ein sehr visuelles Bild, das viele Details umfasst und die Wirklichkeit in ihrer rauen und düsteren Vielschichtigkeit abbildet. Heym lässt durch seine präzise Wortwahl eine Atmosphäre der Verwüstung und des Verfalls entstehen und thematisiert den Kreislauf von Leben und Tod.

In Bezug auf die Form des Gedichtes handelt es sich um ein siebenstrophiges Gedicht mit jeweils vier Versen pro Strophe. Die Sprache des Gedichts ist eher komplex und metaphorisch. Heym verwendet oft Parataxe, d.h. kurze, selten verschachtelte Sätze, die eher nüchtern und distanziert wirken.

Gleichzeitig wird die Sprache des Gedichts durch eine Reihe kraftvoller Bilder geprägt. Die Leiche wird beispielsweise als „weißes Schiff“ beschrieben, das sich im Wind bläht. Der Dichter stellt auch einen starken Kontrast zwischen dem ruhigen, düsteren Bild des Hafens und der bunten Vielfalt des Meeres her. Damit unterstreicht er die Ambivalenz zwischen Tod und Leben, zwischen Stillstand und Bewegung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei „Die Tote im Wasser“ um ein typisches Gedicht des Expressionismus handelt, in dem die dunklen und ungemütlichen Aspekte des Lebens auf starke und unverblümte Weise dargestellt werden.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Tote im Wasser“ ist Georg Heym. 1887 wurde Heym in Hirschberg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1911 zurück. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Expressionismus zuordnen. Bei Heym handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 28 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 205 Worte. Der Dichter Georg Heym ist auch der Autor für Gedichte wie „April“, „Berlin I“ und „Berlin II“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Tote im Wasser“ weitere 79 Gedichte vor.

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